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Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel

Herausgegeben
von Ludwig Tieck und Friedrich von Raumer
Erster Band 780 S. Vorrede XVI S.
Zweiter Band 784 S. Leipzig, 1826
                                                                       in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1828

Erster Artikel

Bei Schriften von so reichem und mannigfaltigem, auch viele uns nächst umgebende Verhältnisse berührendem Inhalte liegt die Anforderung näher, daß eine Anzeige frühzeitig nach deren Erscheinung erfolge. Es konnte auf das Interesse als auf einen Stoff für die Neugierde aufmerksam gemacht werden, welches in den Anschauungen und Urteilen eines bedeutenden Mannes über die wichtigen, soeben vorbeigegangenen oder noch in die Gegenwart unserer Teilnahme hereingreifenden Zeitereignisse, Individualitäten und deren Werke, und in der Besprechung derselben unter einem Kreis von Freunden, meist noch mit uns lebenden Männern, liegt. Das Bedürfnis, die Neugierde zu beschäftigen, fällt nunmehr meist hinweg; aber außer den pikanten Einzelheiten liegen noch gediegenere Gesichtspunkte in der Bestimmung dieser Sammlung, ein Denkmal der würdigen Individualität des Mannes zu sein und dem Publikum in den nachgelassenen letzten Arbeiten desselben die Schlußpunkte seiner philosophischen Ausbildung vorzulegen.

Der erste Teil der Sammlung enthält zuvörderst Auszüge aus einem Tagebuche Solgers aus seinen früheren Lebensjahren und dann über den weiteren Verlauf derselben bis an seinen Tod, den reichen Schatz einer Briefsammlung, die in den Kreis vertrauter Freundschaft eingeschlossen bleibt und durch und durch den Charakter solcher Unterhaltung und Mitteilung trägt. Die Herausgeber, von denen auch der größere Teil der mitgeteilten Briefe der Freunde Solgers herrührt, ergänzen durch Einschaltung kurzer historischer Notizen den Zusammenhang und haben durch Einleitung und Schluß die Sammlung ziemlich zu einem biographischen Ganzen abgerundet. Das Gesamtbild von Solgers Charakter konnte von niemand richtiger entworfen werden als von diesen so innig und lange mit ihm vertrauten Männern; wir heben diese Schilderung aus, welche deren Geschäft auf eine würdige Weise schließt: "In der Jugend war er schlank und blühend, von mittlerer Größe. Sein Auge, vom klarsten Blau, etwas hervorstehend, Gutmütigkeit und Adel der vorzüglichste Ausdruck seines Angesichts. Ein erhabener Zorn konnte zuzeiten, wenn der Gegenstand wichtig genug war, diese Gemütlichkeit, die selbst Kindern Vertrauen abgewann, auslöschen. Im Ernst war der Ausdruck seiner Physiognomie überhaupt ein ganz anderer, als wenn er lächelte; seine Freundlichkeit war herzgewinnend. Seit dem Nervenfieber, das ihn im Jahre 1807 tödlich anfiel, veränderte sich sein Humor etwas, und nach und nach auch seine Gestalt. Er ward stärker und voller; der Ausdruck männlicher Kraft und Ruhe trat an die Stelle des beweglichen Jünglings." - "Nur wenigen Menschen war dieser Zauber der Sprache verliehen. Auch dem Uneingeweihten sprach er klar und faßlich über schwierige Gegenstände. Wie sein ganzes Leben war seine Ehe musterhaft und so glücklich wie nur selten. Als Gatte, Vater, Freund, Lehrer und Staatsbürger wird man seinen Namen immer als Vorbild zur Nachahmung nennen und preisen können."

Wir glauben, es werde dem Leser nicht unwillkommen sein, die Hauptdata der Lebensgeschichte in Kürze zu übersehen:

Carl Wilhelm Ferdinand Solger wurde am 28. November 1780 zu Schwedt geboren, wo sein Vater Direktor der damals noch bestehenden markgräflichen Kammer war, - ein im Amte wie im Familienkreise und unter seinen Freunden höchst würdiger und geehrter, wahrer deutscher Charakter. Aus der ersten Jugend des Sohnes sind einige Anekdoten beigebracht, von denen wir eine bezeichnend scheinende nacherzählen wollen: Solger nannte sich mit seinem jüngeren Bruder lange Sie, was oft bei ihren kindischen Streitigkeiten ihrem Verhältnis eine komische Feierlichkeit gab. Mit dem frühen Talente, Tiere und menschliche Figuren in Papier auszuschneiden, wußte er jenen oft zu unterhalten; wenn aber dieser ihn deshalb zu ungelegener Zeit quälte, pflegte er wohl eine sehr ernsthafte Miene anzunehmen und mit großer Heftigkeit sein unstatthaftes Begehren zurückzuweisen und zuzurufen: "Denken Sie, daß ich nichts anderes zu tun habe, als Ihnen Puppen auszuschneiden?" Diese "komische Feierlichkeit", diese Ernsthaftigkeit, die sich in sich vernichtet, die Nichtigkeit, die sich ernsthaft macht, kann als ein Bild der Grille angesehen werden, deren Kindisches von selbst durch die Reife und aus der Gediegenheit des Charakters verschwunden, aber die als Prinzip der Ironie das Bewußtsein Solgers durch sein ganzes Leben verfolgt hat.

Solger besuchte zuerst die Schule in Schwedt, dann vom vierzehnten Jahre in Berlin das Gymnasium des grauen Klosters, bezog im neunzehnten die Universität Halle, wo er Rechtswissenschaft studierte, ihm aber zugleich das Studium der alten Sprachen, durch Wolfs1) geistreichen Vortrag nur noch mächtiger angeregt, Lieblingsbeschäftigung war; dabei erwarb er sich im Englischen und Italienischen eine nicht gewöhnliche Fertigkeit, fing Spanisch zu lernen an, und indem er dies alles zu beschicken wußte, nahm er den heitersten Anteil an den Ergötzlichkeiten; hier knüpfte sich auch der Kreis der Freunde, der uns in dem Briefwechsel nähergebracht wird. Michaelis 1801 ging er auf ein halbes Jahr nach Jena, vorzüglich Schelling zu hören. Von dieser Wendung seines wissenschaftlichen Interesses und seinem dortigen Studium ist nichts Näheres angeführt, als später (S. 88) Theses von Karl Schelling2) , welche Solger in dem von dessen Bruder veranstalteten, lebhaft betriebenen Disputatorium bekämpfte, wie Theses gleichfalls von der damaligen Art metaphysischer Spekulation, die Solger für solchen Zweck aufsetzte. Im Jahre 1802 machte er eine Reise nach der Schweiz und Frankreich, über welche interessante Auszüge aus den Tagebüchern gegeben werden. Mit Anfang des Jahres 1803 wurde Solger bei der damaligen Kriegs- und Domänenkammer in Berlin angestellt; doch setzte er seine Studien, besonders die griechischen, mit dem größten Eifer fort und ließ im Jahre 1804 die Übersetzung von Sophokles' König Ödipus drucken; über die Arbeit der Übersetzung des ganzen Sophokles, die sich noch immer als die vorzüglichste behauptet, findet sich nur S. 159 eine Erklärung über die Ansicht, die ihn bei dieser Arbeit geleitet. Im zweiten Band dieser Sammlung S. 445 ff. ist die gehaltvolle Vorrede zu dieser Übersetzung wieder abgedruckt. Im Jahre 1804 hörte Solger Fichtes Kollegium über die Wissenschaftslehre "mit unendlichem Vergnügen und Vorteil, wie ich hoffe" (schreibt er S. 131). "Wer zusammengenommen, geschult und rastlos durchgearbeitet werden will, der gehe zu ihm". Und S. 134: "Ich bewundere seinen streng philosophischen Vortrag ... Kein anderer reißt so mit Gewalt den Zuhörer an sich, keiner bringt ihn so ohne alle Schonung in die schärfste Schule des Nachdenkens. Es ist eine wahre Wollust, die beiden großen Männer unserer Zeit in diesem Fache, ihn und Schelling, kennengelernt zu haben und zu vergleichen." Im Jahre 1806 nahm er Abschied von der Kammer, um sich der Gelehrsamkeit ganz widmen zu können; man ließ ihm noch lange die Stelle offen, damit er sogleich wieder eintreten könne, im Fall er diesen Entschluß fassen sollte. Von hier, wo die Tagebücher aufhören, beginnen die Auszüge und Mitteilungen aus den Schriften. Sammlungen zur Geschichte, besonders zu einem Werke über griechische Mythologie, zur indischen Religionslehre und Philosophie, über Pausanias, Platon und die griechischen Tragiker fangen jetzt an. Man erstaunt (wie die Herausgeber, die die Masse von seinen dahin bezüglichen Papieren vor sich haben, mit Recht sagen) über den Fleiß des Mannes; man sieht, daß er es auf umfassende Gelehrsamkeit angelegt hat, die aber zugleich als Material und Füllung für seine höheren philosophischen Interessen und Ansichten dienen sollte, zu denen er aus jenen äußerlichen Arbeiten immer wieder zurückkehrt oder vielmehr nicht aufhört, an der Beschäftigung mit ihnen festzuhalten. Durch das Ganze seiner geistig- und lebenstätigen Stellung zieht sich ein Grundzug seines Gemüts, der sich S. 143 in einem Brief an Krause, einen (S. XVI der Vorrede) der besten Freunde des Verstorbenen, welcher durch Rechtschaffenheit, Kenntnisse, Scharfsinn und gründliches Urteil ausgezeichnete Mann in seinen besten Jahren, geschätzt von allen, die ihn gekannt, dahingerafft wurde, so ausspricht: "So will ich denn gestehen, daß für mich das dringendste, ja das einzige recht ernste Bedürfnis Dein Umgang ist. Es gibt keinen festen Grund und Boden in Wirklichkeit als diesen innigen Umgang mit Freunden ... Nur so kann ich feststehen, um allenfalls auch andere zu heben und zu tragen." Dieses Gefühl für die Mitteilung an seine Freunde und für deren Teilnahme an seinen Arbeiten herrscht durch den ganzen Briefwechsel und stärkt und tröstet ihn bis an sein Ende über die Verstimmungen, die ihm sonst das Leben bot. Tief schmerzte den patriotischen Solger das Unglück des Staats im Jahre 1806; doch findet sich nichts Näheres über Solgers Anschauungen und Verhältnisse in diesen Zeitläuften. Im Jahre 1808 ist er Doktor der Philosophie geworden (S. 158), ohne daß angegeben wäre, wo und wie. Im Herbst 1809 geht er als solcher nach Frankfurt a. d. O., wo er bald Professor extraordinarius wurde, daselbst teils philologische, teils philosophische Kollegien las und, wie man sieht, eine bedeutende Belebung in diese Studien brachte. Auch die Bürgerschaft dieser Stadt gewann ein solches Zutrauen zu ihm, daß im Jahre 1810 die Stadtverordneten den Professor der Philosophie, der noch nicht besoldet war und sich mit sonstigen Subsistenzmitteln nicht auf langehin versehen sah, zum Oberbürgermeister mit 1500 Talern Gehalt erwählten. Oberflächlich angesehen könnte man hierbei an die Mitbürger Demokrits erinnert werden. Allein, um den Namen Abderiten durch ein Benehmen gegen einen Philosophen zu verdienen, dazu gehört mehr; denn nach Diogenes Laertios beehrten die Abderiten den Philosophen ihrer Stadt nach Anhören seines Werkes, Diakosmos, mit einem Geschenk von fünfhundertmal 1500 Talern etwa, - außer weiteren Bezeigungen hoher Achtung. Übrigens sieht man, daß es jenen Stadtverordneten mit ihrer Wahl und mit ihrem durch eine Deputation feierlich an Solger gemachten Antrag Ernst gewesen ist und daß sie nicht etwa nur eine mauvaise plaisanterie  [übler Scherz] gegen die Philosophie hätten machen wollen. Aber man soll überhaupt entfernte Zeiten von so unterschiedenen Umständen und Charakteren nicht miteinander vergleichen. Solger fand eine gewissenhafte Tätigkeit in dem Amte, das ihm angeboten wurde, unvereinbar mit der Arbeit in demjenigen, was das Eigenste und Innerste seines Geistes ausmachte; er schlug wohlbedacht die Stelle aus, erhielt bald einiges Gehalt von der Regierung, und kurz nachher (im Sommer 1811) wurde er an die neu errichtete Universität zu Berlin gezogen, wo er nun vornehmlich der Philosophie sowohl sein glänzendes Lehrertalent als seine schriftstellerische Tätigkeit bis an seinen Tod (25. Oktober 1819; S. 778 finden sich Druckfehler über dieses Datum) widmete.

Der größere Teil des im ersten Bande mitgeteilten Briefwechsels und wohl sämtliche bisher ungedruckten Aufsätze des zweiten Bandes fallen in diese letzte Lebensperiode Solgers. Man sieht, daß ihm die briefliche Unterhaltung mit seinen abwesenden Freunden ein ungelegentliches ausführliches Geschäft gewesen. Seine Leichtigkeit, sich gebildet auszudrücken, machte die Ausarbeitung der vielen und weitläufigen Briefe ohne zu vielen Zeitaufwand möglich. In dem Reichtum der Gegenstände, die besprochen werden, muß diese Anzeige sich ohnehin auf weniges beschränken; sie soll nur das herausheben, was allgemeinere Richtungen Solgers und der Zeit charakterisiert. Gleich von vornherein macht es sich bemerklich, daß Solger Fertigkeit des Ausdrucks, Reife des Stils und Urteils sehr früh gewonnen; sie ist schon in den ersten Aufsätzen des zwanzigjährigen Jünglings ausgezeichnet. Die mitgeteilten Auszüge aus dem Tagebuch von diesen Jahren tragen das Gepräge der bereits vorhandenen gesetzten Haltung. Die Kritiken und die Reisebemerkungen durch die Schweiz und Frankreich sind nicht Produkte eines Jugendenthusiasmus, jugendlicher Oberflächlichkeit und Lebhaftigkeit, sondern Resultate einer besonnenen Reflexion. Die literarischen Urteile betreffen meist belletristische Schriften, - Kritiken, die sich in einer öffentlichen Zeitschrift wohlanständig ausgenommen, ja ausgezeichnet hätten. Gleich die ersten betreffen Schriften des einen der Herausgeber, den Zerbino, den Getreuen Eckart, den Tannhäuser; man sieht darin schon den Zug zu dieses späteren Freundes (die erste persönliche Bekanntschaft fällt in die letzte Zeit des Aufenthalts Solgers in Frankfurt) Dichtungs- und Beurteilungsweise und den Jüngling in den ersten Äußerungen seines erwachten Interesses sogleich eingetaucht in den neuen eigentümlichen Ton und Richtung jener Zeit. Verschieden von dem Gewöhnlichen jugendlichen Urteils ist Stoff und Gehalt weniger mächtig, nicht von vorherrschender Wirkung auf die Kritik; diese ergötzt sich vornehmlich an dem Formellen und an den subjektiven Eigenschaften, der außerordentlichen Fülle der Phantasie, der Laune usf. Indem an der Schillerschen Umarbeitung Macbeths und der Hexen die alten eingeschrumpften Weiber vermißt werden, in welchen mehr Phantastisches gelegen haben soll usf., fehlt nicht die neu aufgekommene Zuneigung zu Holberg (S. 101, 102), dem ein Zauber zugeschrieben wird, der auf der ganz heiteren und äußerst gemütlichen nordischen Laune beruhe, welche insbesondere da ausgezeichnet gefunden wird, wo fast alle Personen des Stücks ausgemachte Narren sind und daher eine ungeheure Menge von vortrefflichem Unsinn sagen; besonders wird "die gänzliche Albernheit seiner Bediensten" als "unverbesserlich" gerühmt.

So sehen wir uns mitten in die Ansicht der einen der merkwürdigen Epochen versetzt, welche als die Krisen in der deutschen Literatur angesehen werden können und von deren Vergleichungspunkten wir einige herausheben wollen. Die eine fällt in Goethes Jugend; wir finden sie von ihm selbst, der einen so großen Anteil an deren Vollführung hatte, in seinem Leben nach ihrem ganzen charakteristischen Umfange geschildert. Nachdem er "die Ratlosigkeit" beschrieben, in welcher die Kritik ließ, die Verwirrung, in welche "junge Geister durch deren ausgerenkte Maximen, halb verstandene Gesetze und zersplitterte Lehren sich versetzt fühlten", gibt er die Weise an, wie er für sich aus diesem chaotischen Zustande und dieser Not sich rettete. Um zu seinen Gedichten eine wahre Unterlage, Empfindung oder Reflexion zu gewinnen, mußte er in seinen Busen greifen und für die Anschauung eines Gegenstandes oder Begebenheit, für poetische Darstellung zunächst sich innerhalb des Kreises halten, der ihn zu berühren, ihm ein Interesse einzuflößen vermochte. Ein Ingrediens in diesem kräftigen Gebaren ist die Bekanntschaft mit Shakespeare, deren große Wirkung insbesondere in Wilhelm Meisters Lehrjahren weiter geschildert ist3) , wo der Dichter den Wilhelm ausrufen läßt, daß diese Shakespeareschen Dramen keine Gedichte seien; man glaube vielmehr, vor den aufgeschlagenen, ungeheuren Büchern des Schicksals zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens sause und sie mit Gewalt rasch hin und her blättere; alle Vorgefühle, die er jemals über Menschheit und ihre Schicksale gehabt, die ihn von Jugend auf, ihm selbst unbemerkt, begleiteten, habe er darin erfüllt und entwickelt gefunden. - So hat Shakespeare der erweiterten Lebenserfahrung des Dichters nachgeholfen und das Seinige getan, um den Vorstellungskreis über die nur unmittelbaren Gegenstände und Verhältnisse wie über die darauf beschränkten Reflexionen hinauszutragen und tieferen Gehalt, aber immer aus dem Schacht des eigenen Busens, zu gewinnen.
Denn, und dies ist ein großes Wort, das Goethe in dem zuerst erwähnten Zusammenhange hinzusetzt: "Der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst". Noch fügt er dann bei, daß er und die Freunde, welche diesen Enthusiasmus teilten, die Möglichkeit nicht leugneten, die Verdienste Shakespeares näher zu erkennen, sie zu begreifen, mit Einsicht zu beurteilen; aber sie behielten sich dies für spätere Epochen vor; gegenwärtig wollten sie nur freudig teilnehmen und lebendig nachbilden.

Die andere Krise hat unseren literarischen Gesichtskreis über noch weitere Erscheinungen ausgedehnt und die Kenntnis von Dante, Holberg, den Nibelungen, Calderon nicht bloß zu verbreiten beigetragen, sondern, außer einem erneuerten Enthusiasmus für Shakespeare, auch zum Studium, Bewunderung und Nachahmung dieser fernen und heterogenen Gestaltung[en] angetrieben.
Wie aber die erste Krise im Überdruß des Formellen nach Gehalt grub und diesen zutage herausarbeitete, so war umgekehrt mit dieser Erweiterung des Geschmacks für Formen und fremde Eigentümlichkeit verbunden, daß der Sinn für Gehalt und Inhalt sich in die subjektive Abstraktion, in ein gestaltloses Weben des Geistes in sich zusammenzog, daß er sogar dem Genusse und der Wertschätzung des Humors und gemeinen Witzes weichen mußte. Es ist vorhin des vortrefflichen Unsinns und der herrlichen Albernheit erwähnt worden, und wohl gibt es noch Verehrer Shakespeares, die aus dem ästhetischen Enthusiasmus für Korporal Nym und Leutnant Pistol
4) nicht herauskommen können. So machte sich denn von selbst in den eigenen Produktionen Gehalt und Inhalt nüchtern, dünn, ohne Ernst; er wurde absichtlich aufgeopfert, um ins Leere zu verschweben und mit Bewußtsein, ironischerweise, die innere Wahrheitslosigkeit des Stoffes für das Beste auszugeben. Einerseits sahen wir die Theorie von der Poesie der Poesie, andererseits den Kreis von Poeten sich bilden, die es darauf anlegten, sich gegenseitig und das Publikum mit den morgenrötlichen Produkten der neuen poetischen Poesie, mit einer kometarischen Welt aus Duft und Klang ohne Kern zu mystifizieren. Für diese ironische Sublimation zur Inhaltslosigkeit und Sehnsucht liegt die lyrische Form ganz nahe und macht sich gleichsam von selbst, denn das Spiel im wirklichkeitslosen Tönen des hohlen Geistes ist für Vers und Reim nicht durch den Inhalt geniert. Im dramatischen Fache kann Wirklichkeit, Charakter und Handlung nicht entbehrt werden; die innere Nichtigkeit, welche von der Theorie der Ironie gefordert wird, führt hier auf dasjenige, worauf die Mittelmäßigkeit von selbst gerät, - Charakterlosigkeit, Inkonsequenz und Zufälligkeit, aufgespreizte Nüchternheit die Theorie fügt nur dies hinzu, daß die Mittelmäßigkeit auch mit der Maxime der Haltungslosigkeit und Halbheit produziert. Die Kritik gab sich mit diesem Standpunkt einen neuen, kecken, nicht selten auch frechen Aufschwung und imponierte einer Menge, die auf der ästhetischen Höhe sein wollte; denn ein Publikum bildet sich, wie Solger öfters die Erfahrung ausspricht, um jede kecke und glänzende Schiefheit. Aber die Nation - denn wir dürfen doch wohl auch von einer Nation in Beziehung auf Literatur sprechen und sie von einem bloßen Publikum unterscheiden -, die Nation also hat sich dieses den äußeren Formen wie dem Gehalte nach Fremdartige nunmehr um so weniger aufdrängen lassen, als sie ehemals nach Vertreibung des französischen Geschmacks durch jene erste Krisis an Form und Gemüt einheimische nationelle Poesie gewonnen hatte.

Eine Menge literarischer Erscheinungen und Urteile, welche dem Geiste dieser Zeit angehören, gehen in diesem Briefwechsel an unseren Augen vorbei; doch fällt die keckste und blühendste Periode der Ironie, Lucinde, Athenäum usf. schon jenseits desselben. Bald waren es ernsthaftere Interessen, der Krieg und die politischen Umstände, welche jenen einem ernstlichen Inhalt feindseligen Standpunkt zu einem immer mehr partikulären Kreise sowohl nach außen als im Innern der Individuen zusammenengten. Solgers gründlicheres Urteil blieb immer weit hinter dem Standpunkte des Athenäums, ohnehin einer Lucinde zurück, noch weniger konnte er in reiferen Jahren an der höchsten Fratzenhaftigkeit teilnehmen, zu welcher der Humor in den Hoffmannschen Produktionen sich steigerte. - Um einige Beispiele von jener Richtung zu geben, so findet Solger in seiner Jugendzeit in dem angefangenen Roman von Novalis, dem Heinrich von Ofterdingen (S. 95) einen neuen und äußerst kühnen Versuch, die Poesie durch das Leben darzustellen, die Idee einer mystischen Geschichte, einer Zerreißung des Schleiers, welchen das Endliche auf dieser Erde um das Unendliche hält, einer Erscheinung der Gottheit auf Erden, eines wahren Mythos, der sich aber hier in dem Geiste eines einzelnen Mannes bilde. - "Daß dieser Roman nicht weiter fortgeführt und gerade beim Anfang des Wichtigsten stehengeblieben ist, das schmerzt mich ungemein." Den Jüngling bestach der glänzende Anlauf, aber er sah noch nicht ein, daß eine Konzeption dieser Art gerade darin mangelhaft ist, nicht weitergeführt und zu einem Ende gebracht werden zu können; die hohlen Gestalten und Situationen schrecken vor der Wirklichkeit zusammen, der sie zugehen sollten, wenn sie weiter fortrückten. - S. 124 wird das Lied der Nibelungen seiner Anlage nach für größer als die Ilias erklärt. In einer Vorlesung A. W. Schlegels über Dante findet Solger nicht die gehörige heilige Scheu vor dieser hohen Mystik, noch Empfänglichkeit genug für die erhabene Einfalt.

Solgers enge Freundschaft mit Tieck führt die öftere Erwähnung der Tieckschen Produktionen herbei; dieser Teil des Briefwechsels ist besonders charakteristisch rücksichtlich der literarischen und der damit zusammenhängenden mystischen Tendenz jener Periode; wir wollen uns daher länger dabei verweilen. Was die Tieckschen Produkte zunächst betrifft, so hat bei Solger die Freundschaft billig ihren Anteil an der Wertschätzung derselben, geht aber zuweilen zu offener eindringlicher Kritik fort. Tieck hat es wohl als ein Denkmal der Freundschaft abdrucken lassen, wenn wir S. 350 lesen, daß Solger dem Blaubart wenige deutsche Dramen an die Seite zu setzen wüßte, oder S. 428, was Solger im Jahre 1816 schreibt: "Es ist meine innigste Überzeugung: auf Ihnen (Tieck) beruht das Heil der deutschen Kunst; Sie sind der einzige, der mitten in dem gefälschten Zeitalter in reiner poetischer Klarheit dasteht! Ihr Treiben ist das Wahre und Göttliche, es ist immer reiner und reiner aus dem ganzen Gewirre hervorgegangen." S. 294 sieht zwar Solger es noch für ein Zeichen an, wie stark der reflektierende Sinn geworden, daß an den Tieckschen Märchen die Vermischung einer Märchenwelt mit der wirklichen und alltäglichen getadelt worden sei. Wenn Solger, wie er sagt, diesen Einwurf sich kaum hätte träumen lassen, so haben wir in neueren Zeiten Tieck selbst jene Heterogeneität aufgeben, den Märchenboden verlassen und zu Novellen übergehen sehen, wo die Einfassung und der äußerliche Stoff nicht aus dem oft Kindischen und Läppischen, auf jeden Fall aus unserem Glauben Verschwundenen oder von demselben Verworfenen der Märchen, sondern aus Verhältnissen unserer Welt und Wahrheit genommen wird. In späteren Beurteilungen, welche Tieck der Freundschaft Solgers abdringt, bestimmt sich das kritische Gefühl des letzteren näher zur Einsicht in Mängel, welche er an dem Zerbino S. 388 f. und in der Genoveva S. 465 ff. dem Verfasser bemerklich zu machen sucht. Was Solger nicht mehr zusagt, ist der Mangel an Haltung, - merkwürdig genug, im Grunde selbst die Vermischung, deren Vorwurf er früher nicht zugab, nur dieselbe höher aufgefaßt, nämlich als Vermischung von wirklich Poetischem mit nur Gemachtem, Willkürlichem, Absichtlichem. Die beiden Freunde sprechen durch mehrere Briefe über die Genoveva herüber und hinüber, und die gründlich gewordene Einsicht Solgers drückt sich darin im Unterschiede gegen seine frühere Art der Kritik und den Tieckschen Standpunkt bestimmt aus. Wenn Tieck seinerseits (S. 453) von diesem Gedicht sagt, daß es ihm ganz aus dem Gemüte gekommen, ihn selbst wie überrascht habe, gar nicht gemacht, sondern geworden sei, - S. 465, daß es eine Epoche in seiner Sinnesart gemacht, daß er dabei durchaus unbefangen gewesen sei, so fühlt Solger, daß, sosehr es in vielen Stellen und Szenen ganz von Innigkeit und Liebe durchdrungen sei, dennoch diese Sinnesart nicht der Zustand des Dichters, sondern vielmehr eine tiefe Sehnsucht nach derselben gewesen, sonst würde sie mehr unmittelbar gegenwärtig, ja als die einzig wahre und mögliche in uns eindringen; - die Innigkeit erscheine in einem Gegensatze gegen etwas anderes, wodurch das Bewußtsein in sich uneins gemacht und zur Reflexion veranlaßt werde; - es fehle an der inneren und gegenwärtigen Notwendigkeit. Weiterhin (S. 501) gibt Tieck die Kritik zu, daß auch ihm das Gedicht wie unharmonisch erscheine; aber dies läuft nur darauf hinaus, daß die Töne, die Anklänge, Rührungen, Ahnung, Wald, Luft usw. in Harmonie und Musik aufgehen; was eigentliche Zeichnung, Färbung, Stil betreffe, da sei er unzufrieden und finde die Disharmonie. Die Religion, die Wüste, die Erscheinungen seien ihm der alles zusammenhaltende Ton des Gemäldes, und diesen möchte er nicht gern manieriert heißen lassen. - Man sieht, daß in Tiecks Bewußtsein der Ton, das Lyrische und Subjektive, nicht der Gehalt und innere Gediegenheit zur Betrachtung gebracht wird.

Noch bestimmter aber geht in Solger das Gefühl über jenes Grundübel an den Kleistschen Produkten auf, welche in dem Briefwechsel oft zur Sprache kommen. Der Charakter der Kleistschen Werke ist ebenso gründlich als geistreich in diesen Jahrbüchern früher5) auseinandergesetzt und nachgewiesen worden. So sehr Solger Kleists Talent achtete und S. 558, wo ausführlich von ihm gesprochen wird, insbesondere auch die energische und plastische Kraft der äußeren Darstellung anerkannte, welche vorzüglich sich in dessen Erzählungen dokumentiert, so frappiert ihn dennoch der große Wert, den dieser Dichter auf gesuchte Situationen und Effekte legte, das absichtliche Streben, über das Gegebene und Wirkliche hinwegzugehen und die eigentliche Handlung in eine fremde geistige und wunderbare Welt zu versetzen, kurz ein gewisser Hang zu einem willkürlichen Mystizismus. Die Selbstfälschung, mit der das dichterische Talent sich versetzte ist hier treffend angegeben. Kleist leidet an der gemeinsamen, unglücklichen Unfähigkeit, in Natur und Wahrheit das Hauptinteresse zu legen, und an dem Triebe, es in Verzerrungen zu suchen. Der willkürliche Mystizismus verdrängt die Wahrheit des menschlichen Gemüts durch Wunder des Gemüts, durch die Märchen eines höher sein sollenden inneren Geisteslebens. - Solger hebt den Prinzen von Homburg desselben Verfassers mit Recht über seine anderen Stücke, weil hier alles im Charakter liege und daraus sich entwickele. Bei diesem verdienten Lobe wird nicht in Anschlag gebracht, daß der Prinz zu einem somnambulen Kranken gleich dem Käthchen von Heilbronn gemacht ist, und dieses Motiv wird nicht nur mit seinem Verliebtsein, sondern auch mit seiner Stellung als General und in einer geschichtlichen Schlacht verschmolzen; dadurch wird das Prinzip des Charakters wie der ganzen Situation und Verwicklung etwas Abgeschmacktes, wenn man will Gespenstig-Abgeschmacktes.

Tieck gibt uns in seinen Briefen, die er in dieser Sammlung hat abdrucken lassen, sehr vieles zum besten, das in diesen Kreis gehört; neugierig möchte man auf die Ausführung der Figur sein, die eine von ihm selbst abgeschilderte Quintessenz jener Tendenzen hätte werden sollen (S. 597), - die Figur "eines Verächters alles Gründlichen und Guten, aus Zerbino, Sternbald, Kater und seinen andern Schriften erwachsen, mit jener Hyperkritik, die gleich Null ist". Daß Shakespeare ein häufiger Gegenstand der Unterhaltung in diesen Briefen ist, war zu erwarten; auch mehreres aus den Eigentümlichkeiten und Gründlichkeiten der Tieckschen Betrachtungsweise desselben spukt hier bereits. "Es gibt in Deutschland kein Studium, wahrlich kein echtes des Dichters, und in England ein egariertes", sagt Tieck S. 565 nach seiner Rückkehr aus England. "Wir Deutsche sind seit Wieland in recht saumseliger und bequemer Bewunderung." Man sollte meinen, an einem echten Studium und Verständnis Shakespeares und ausdrücklich als Dichter habe es in Deutschland (s. oben) niemals gefehlt und ebensowenig an offenkundigen und berühmten Früchten dieses Studiums, deren uns z. B. Goethe und A. W. v. Schlegel gegeben; auch die Engländer, sollte man denken, verstehen ihren Shakespeare; sie würden wenigstens den spießbürgerlichen Dünkel des Kontinents sehr verlachen, wenn wir um der Abwege einiger ihrer Kritiker und deren gelehrter Irrtümer in Wertlosesten Einzelheiten willen unser Studium über ihre Wertschätzung ihres Dichters erheben wollten; für diese ist das historisch-gelehrte Studium meist überflüssig. Daß es aber auch diesseits des Kanals leicht auf Abwege und Schrullen führt, weil aus solchen weitschichtigen und unerquicklichen Bemühungen denn doch endlich etwas Absonderliches erwachsen sein soll, davon geben die vorliegenden Briefe selbst das Beispiel. Es spukt darin bereits Tiecks bekannte Schrulle über den Vorzug der äußeren Einrichtung, die das Theater zu Shakespeares Zeiten hatte, vor der jetzigen. Es soll ein Vorzug gewesen sein, daß die Bühne nur breit und nicht, wie heutzutage, tief war. Dem Übelstande der häufigen Veränderungen der Szene, welche bei der Aufführung Shakespearescher Dramen nötig werden, sowie der Ungewißheit, in welche Stadt oder Gegend man jetzt versetzt sei, war, wie man weiß, allerdings abgeholfen, und zwar der letzteren dadurch, daß ein vor dem gemalten Tore, Stadtmauer, Häusern usf. auf einer Stange aufgesteckter großer Zettel mit dem Namen der Stadt, Burg usf. die gewünschte Auskunft gab, daß ferner die Schauspieler, um von einer Stadt in eine andere zu reisen, nur durch einen Vorhang zu gehen brauchten, der die Bühne so teilte, daß auf deren anderer Seite die andere, gleichfalls durch eine Aufschrift kenntlich gemachte Stadt oder Gegend gemalt war, somit keine Veränderung der Szene lästig fiel. Zwar findet sich der fernere Umstand nicht für einen Nachteil heutiger Kunst ausgegeben, daß nämlich in jetzigen Häusern die Zuschauer nicht nur in den Logen, sondern auch die im Parterre durch ein Dach gegen Regen, Wind und Sonne geschützt sind; aber von jener älteren Einrichtung schreibt Tieck S. 693, daß er nicht ungeneigt sei zu glauben, daß selbst der Mangel an Dichtern und Sinn großenteils vom untergegangenen Brettergerüst entstanden, "und daß er (!?sic) uns in Deutschland an der Hervorbringung echter Werke gehindert hat". Doch in dieser Korrespondenz kommt noch nichts von den weiteren absonderlichen Grillen vor, die Tieck seitdem über die Charaktere im Hamlet, auch über Lady Macbeth in das Publikum hat ausgehen lassen. Sonst aber wird manches erzählt, über das man sich wundern könnte; wie S. 502, daß Tieck jahrelang den Perikles von Shakespeare vielleicht übertrieben verehrt habe (woraus Zerbino und Oktavian entstanden sei!), S. 696, daß ihm ein Stück von Calderon, das er vor zehn Jahren verehrt, nunmehr fast ganz schlecht erscheine. Dergleichen Verirrungen des Geschmacks lassen sich nur aus der abstrakten Richtung der Kritik verstehen, die das Objektive der Kunst nicht beachtet. - Solger ist durch seine klassische Bildung und die Philosophie bewahrt worden, an die Extreme mitzugehen; ob aber gleich das vorhin Angeführte Elemente gediegenerer Kritik enthält und ihm bei manchem romantischen Produkte (wie S. 606 z. B. dem Fortunat) eben nicht ganz geheuer ist, so hat dies doch nicht durchgedrungen, und ebendaselbst (noch vom Jahre 1818) findet sich das Urteil über Shakespeares Der Liebe verlorene Mühen - dies im ganzen ebenso schwache als im einzelnen an Plattheit überreiche Stück -, daß sich darin unter den komischen [Stücken] am bestimmtesten die Reife der Poesie in diesem Dichter ausdrücke, weil es am wenigsten durch irgendeine spezielle Richtung (die Richtung ist in der Tat nur ganz kahl) bestimmt und "auf die reinste Ironie gegründet ist", - das letztere kann man in dem Sinne, der häufig damit verbunden ist, zugeben, daß es die reinste Ironie ist, in dem Stücke irgendeinen Wert antreffen zu wollen, welche Täuschung irgendeiner Erwartung denn eben der Humor der Sache sein soll.

Dagegen erweist sich Solgers Urteil besonders trefflich, reif und prompt über die vielfachen weiteren außer dem Gebiete des Romantischen liegenden Erscheinungen, die während der Periode dieses Briefwechsels eine unverdiente Aufmerksamkeit erregten. Man sieht mit Befriedigung, wie Solger mit denselben sogleich bei deren erstem Auftreten fertig ist, während sie bei einem ausgebreiteten Publikum das größte Aufsehen erwecken und dasselbe die wichtigsten Folgen hoffen lassen, bis ihm diese Gegenstände und alle seine Hoffnungen verkommen, gleichfalls ohne sich hierüber Rechenschaft zu geben, wie durch ein bloßes Vergessen. Man sehe z. B. Solgers frühes und sogleich reifes Urteil über das einst bewunderte, nun ganz vergessene Naturdichten Hillers6) (Bd. I, S. 128), noch mehr über Pestalozzi (ebenda S. 135 ff.), das für manchen auch jetzt darüber belehrend sein kann, warum die Sache dieses als Individuum so edlen Mannes keine Revolution im Erziehungswesen hervorgebracht, sondern selbst keine Nuance eines Fortschritts hat bewirken können. - Ebensosehr erfreut man sich der gründlichen Ansichten über so manche literarischen Produktionen, die mit großer Prätention und mit noch größerer Bewunderung aufgetreten sind, z. B. über die Ahnfrau S. 636, die Sappho S. 653 usf.

Über Niebuhrs Römische Geschichte [1811-32] noch kann, was er S. 222, verhindert, weitläufiger zu schreiben, nur kurz bemerkt, herausgehoben werden, da nunmehr die zweite Ausgabe mit früheren gründlichen Urteilen verglichen werden kann. Solger äußert, daß ihm das meiste über die ersten Jahrhunderte Roms, besonders die Meinung von alten Gedichten, aus denen Livius geschöpft haben soll, durchaus chimärisch erscheine. Schlegels Rezension in den Heidelberger Jahrbüchern wird S. 222 für eine solche erkannt, wie sie selten vorkomme und welche die höchste Achtung für Schlegel bei allen Unparteiischen wieder erneue. "Von Niebuhrs Hypothesen bis auf Romulus bleibt beinahe nichts stehen, und es wird alles mit sehr triftigen Gründen widerlegt." Schlegel gerate zwar von Romulus an auch in Vermutungen, die er (Solger) nicht unterschreiben könne, aber nicht in imaginäre saturnische Heldengedichte, deren Erfindung für ihn (Solger) zu den unbegreiflichsten Verirrungen gehöre. - Den Philosophen ist in neueren Zeiten der Vorwurf, Geschichte a priori zu schreiben, gemacht worden. Solgers philosophischer Sinn konnte solches Recht den Historikern vom Fach und den Philologen ebensowenig zugestehen als anderen.

Gleich interessant sind Ansichten über viele Begebenheiten der Zeit, über Zustände und den Geist derselben. Solgers Äußerungen z. B. über die Sandsche Mordtat7) und den damit zusammenhängenden Geist sind merkwürdig genug, um einiges davon auch jetzt auszuzeichnen; S. 722 ff. schreibt er darüber: "Es macht einem Grausen, wenn man einen Blick in ein solches Gemüt wie dieses Sandsche tut. Er ist gewiß von Hause aus ein gut gearteter junger Mensch, den man bedauern muß. Aber nun die stupide Dummheit, durch den Mord des alten Waschlappens das Vaterland retten zu wollen! Der kalte, freche Hochmut, als kleiner Weltrichter die sogenannten Schlechten abzuurteilen! Die leere Heuchelei vor sich selbst mit der Religion, oder vielmehr ihren Floskeln, die die größten Greuel heiligen sollen! Es ist zum Verzweifeln, wenn man daran denkt! Indessen ist mir das alles nicht im geringsten neu. Ich weiß auch genau, woher alles kommt ... Man hat ihnen ja seit zehn Jahren genug vorgepredigt, sie seien die Weisen und Vortrefflichen, von denen die Wiedergeburt des Staats und der Kirche ausgehen müsse... Dummheit, Leerheit, Hochmut, das sind die Geister, die sie treiben, und das sind wahre Geister der Hölle." - S. 725 [über] die Sandsche Geschichte: Einen traurigen Blick gewährt sie uns in den Zustand so vieler junger Gemüter. Es zeigt sich hier eine Mischung von ursprünglicher Gutartigkeit mit einer Beschränktheit, Dummheit möchte ich es nennen, einem Hochmut, einer unbewußten religiösen Heuchelei vor sich und anderen, daß einen schaudert. Können Sie glauben, daß es hier Professoren gibt, die den leeren koketten Bombast, den der junge Mensch an die Seinigen geschrieben hat, bewundern? ... Nur allzusehr erinnert man sich aber auch an das Gewäsch der Wartburgredner und an so vieles Ähnliche. Doch, wie ich sagte, wir wollen niemand beschuldigen als etwa den beliebten Zeitgeist. Schon lange nimmt alles diese verderbliche Richtung auf das mutwillige Weltverbessern und den leeren Hochmut, und viele ganz verschiedene Lehren haben sie immerfort befördert ... Die unselige intellektuelle Aufklärung, die so viele im Leibe haben, die frevelhafte Lehre, daß die sogenannten Besseren alles sein und tun müssen und daß jeder, der an nichts glaubt als an die leere Weltverbesserung, einer von diesen Besseren sei, ist die rechte Schule des aufgeblasenen dummen Hochmuts.
Man muß diesem aus allen Kräften entgegenarbeiten und wenigstens sein Gewissen salvieren."

Die Wartburgszenen8) [betreffend] heißt es S. 720: "Daselbst haben einige Professoren alberne, kindische Reden gehalten, um ihren hohlen Enthusiasmus auszubreiten. Man hätte dies entweder zeitig genug verbieten und verhindern oder nachher diese politisch-philosophischen Narren so darstellen können, daß sie in ihrer ganzen Blöße erschienen wären."
- Man möchte es vielleicht für etwas Ersprießliches haben halten können, wenn Solger diese Darstellung übernommen und durch Öffentlichkeit seiner Ansichten jenem grellen Unwesen entgegengearbeitet hätte; es ist ihm aber wohl zu gönnen gewesen für sein übriges Leben, das nur noch etwas über sechs Monate dauern sollte, sich die zu erwartende böse Anfeindung, Verunglimpfung wegen serviler Gesinnung usf. erspart und durch öffentliches Stillschweigen sich Ruhe bewahrt zu haben.

Doch wir müssen der Auszeichnung des Interessanten Schranken setzen, dessen sich noch so vieles in den Briefen Solgers und dann in denen seiner Freunde, besonders des einen der Herausgeber, von Raumer, an frischer, ebenso durchdringender als heiterer Kunst- und Lebensansicht vorfindet, um zu der Seite überzugehen, welche unser Interesse vornehmlich in Anspruch nehmen muß. Die Korrespondenz enthält jedoch weniger Data und Aufklärungen über Solgers Ausbildung und Fortschritte in der Philosophie, als man etwa zunächst meinen könnte. Der Kreis von Männern, die sich hier durch Briefe unterhalten, hatte sich nicht eine und dieselbe gelehrte Bestimmung gewählt. Jeder verfolgt ein eigentümliches großes Interesse, nimmt zwar den Anteil eines gebildeten Freundes an den Arbeiten des anderen, aber geht nicht in deren Gegenstände und Inhalt näher ein. Man hat also nicht das Schauspiel der Entwicklung einer Philosophie, einer wechselseitigen Mitteilung und Erörterung philosophischer Sätze und Begriffe zu erwarten.
Die Gegenseitigkeit ist allgemeine Aufmunterung oder Teilnahme, und wenn Solger zu näheren Äußerungen und Kritik über seine herausgegebenen Schriften auffordert, so geht es wie gewöhnlich: der eine der Freunde hatte noch nicht Zeit gehabt, die Schrift zu lesen, der andere verspart ein tieferes Eingehen auf die zu wiederholende Lektüre und beschränkt sich vorläufig auf Kritik von Partikeln, Stil u. dgl. Die Tieckschen Briefe drücken ein direkteres Verhalten zur Philosophie aus; Solgers Explikationen darüber sind gegen diesen Freund am häufigsten und ausführlichsten; er spricht die Befriedigung, die es für ihn hat, sich Tieck mitzuteilen, vielfach und innig aus. "Wie oft" (sagt er S. 375) "gibt es mir neuen Mut und neue Kraft, daß Sie meine Bemühungen anerkennen, wenn alles um mich her darüber schweigt ... Sie kommen mir zu Hilfe; wenn Sie auch nicht Philosoph sind, so kennen Sie doch die Philosophien, und, was weit mehr ist, Sie leben durch Ihren eigenen Beruf im Gegenstande der Philosophie. Ihr Beifall und Urteil erhält mich oft in meiner Ruhe, wenn der Verdruß sich bei mir einschleichen will." Tieck legt in diesen herausgegebenen Briefen die Art seines Verhältnisses zur Philosophie und den Gang seines Gemüts und Geistes vor das Publikum. Solche Eröffnung eines bedeutenden Individuums über sich ist für sich ein interessantes Seelengemälde, und noch mehr, indem es eine Gattung repräsentiert. Tiecks Standpunkt zur Philosophie ist zwar das mit der Zeitbildung des Verstandes gemeinschaftliche negative Verhalten gegen sie; insofern [jedoch] affirmativ, als es zugleich mit dem Anerkennen des Affirmativen in der Philosophie überhaupt als des mit dem Wesen der Religion und Poesie Identischen verknüpft ist und insofern von dem gewöhnlichen Verstande der Aufklärung und der Theorie des Glaubens abweicht. Aber jenes negative Verhalten zur Philosophie bringt zugleich eine Einseitigkeit in das Prinzip selbst, das sich für die Mystik der Religion und Poesie hält und gibt, weil dieses Prinzip ein Produkt der Reflexion, nicht unbefangene Religiosität und Poesie geblieben ist. Diese Mystik macht nur eine weitere Abspiegelung des vorhin besprochenen Standpunktes aus, und indem sie der Reflex des einen Teils des philosophischen Standpunktes Solgers ist, soll die Beleuchtung der Tieckschen Eröffnung in ihren Hauptzügen zugleich als Einleitung für diesen dienen.

"Aller Gedanken- und Ideengang soll mir nur tiefe Vorurteile bestätigen, d. h. doch nur mit anderen Worten: den Glauben und die unendliche Liebe" (S. 341 f.). Wir sehen darin die alte Lehre, welche Sokrates und Platon angefangen haben, daß, was dem Menschen als wahr und gut gelten solle, in seinem Geiste ursprünglich liegen müsse; indem es aber ferner auch auf eine dunkler oder deutlicher gefühlte oder geahnte Weise in sein Bewußtsein getreten, wird es erst Glaube und kann auch, indem es nicht auf Einsicht gegründet ist, Vorurteil genannt werden. Jene Lehre hebt, wie der Mystizismus, alles bloß Positive äußerlicher Autorität auf. In Beziehung auf den innersten, echten Gehalt tut die Philosophie nichts, als solchen bestätigen, aber was sie zugleich damit bewerkstelligt, ist die Reinigung desselben und die Absonderung des Unechten, des Positiven anderer Art, was in ihm als Vorurteil ist. In demselben Zusammenhange sagt aber Tieck, daß es ihm "nie um das Denken als solches zu tun gewesen"; "die bloße Lust, Übung und Spiel der Ideen, auch der kühnsten, ist mir uninteressant". Dem Glauben auch die philosophische Form, denkende Erkenntnis des Gehalts zu erwerben, hängt natürlich ganz von dem individuellen Bedürfnis ab; aber erst diese Erkenntnis führt zur Einsicht in die Natur des Denkens und zeigt, daß das Denken etwas anderes als nur eine Übung und Spiel von Ideen hervorbringt, und verhindert, ohne Erkenntnis über dasselbe nur so abzusprechen. In dem Briefe vom 24. März 1817 (S. 535) gibt Tieck eine ausführliche Erzählung, die er ein Selbstgeständnis nennt, über den Gang seiner geistigen Richtung. Vor seiner Bekanntschaft mit Jacobi, mit dem er zuerst einen Dialog habe halten können ("von zwei Ufern einer Kluft herüber, wo wir wohl mehr das Echo als unsere Worte hörten"), hatte er keine dialogischen Philosophen gefunden, und die verschiedenen Systeme befriedigten ihn nicht (die Befriedigung hängt mit dem zusammen, was man sucht, und Platon z. B. ist doch wohl auch ein dialogischer Philosoph gewesen). "Besonders verletzten alle meinen Instinkt zur Religion"; so führte ihn "die Liebe zur Poesie, zum Sonderbaren und Alten, anfangs fast mit frevlem Leichtsinne (worin das Frevelhafte bestanden hätte, sieht man nicht) "zu den Mystikern, vorzüglich zu J. Böhme, der sich aller meiner Lebenskräfte so bemächtigt hatte ... , daß ich von hier aus nur das Christentum verstehen wollte, das lebendigste Wort im Abbild der ringenden und sich verklärenden Naturkräfte, und nun wurde mir alle alte und neuere Philosophie nur historische Erscheinung" (das Umgekehrte geschieht der philosophischen Erkenntnis, als welcher der Mystizismus und dessen Gestaltungen zu historischen Erscheinungen werden). "Von meinem Wunderlande aus las ich Fichte und Schelling und fand sie leicht, nicht tief genug, und gleichsam nur als Silhouetten oder Scheiben aus jener unendlichen Kugel voll Wunder" (leicht, weil es dem mystischen Bedürfnis nur um den allgemeinen Sinn, die abstrakte Idee, wie oben gesagt, nicht um das Denken als solches zu tun war; nicht tief genug, weil in der Form des Gedankens und dessen Entwicklung der Schein der Tiefe dem des Gedankens Unkundigen verschwindet, denn tief pflegt man einen Gehalt nur im Zustand seiner Konzentration und oft, wie er bei J. Böhme am meisten vorkommt, einer phantastischen Verwirrung und Härte zu finden, das Tiefe aber in seiner Entfaltung zu verkennen).
Bei Böhme wurde Tieck von dem "Zauber des wundersamsten Tiefsinns und der lebendigsten Phantasie" hingerissen; die ebenso ungeheure Mangelhafligkeit in diesem Mystizismus aber wird allerdings nur dem Bedürfnisse des Gedankens auffallend. - Anderwärts (S. 392), und zwar außerhalb und nach Verfluß jenes Zustandes, kommt zwar auch die Vorstellung einer Verbindung von Vernunft und Verstand mit der Erhebung des Gemüts vor; es ist daselbst gesagt, "sich in die Erleuchtung eines begeisterten Gemüts zu erheben und hier, in den Sphären eines vielverschlungenen Zusammenhanges und der harmonischen Vereinigung aller Kräfte, auch Vernunft und Verstand wieder (!?) anzutreffen, ist nur wenigen gegeben, den allerwenigsten - bis jetzt, scheint es, keinem -, Kunde und Rechenschaft darüber zu geben".
Wenn Tieck ebendaselbst durch Franz Baader, Hamann, St. Martin usf. nach dieser Seite nicht befriedigt worden, was hinderte z. B. bei Platon, um nicht andere zu nennen, die verlangte Vereinigung des begeisterten Gemüts und der davon Kunde und Rechenschaft gebenden Vernunft und Verstandes zu finden? Offenbar nur die Unkenntnis und Ungewohntheit, in der Art, wie die denkende Vernunft den echten Gehalt der Begeisterung darstellt, sich so zurechtzufinden, um denselben in dieser wiederzuerkennen, - oder die verkehrte Forderung, mit der philosophischen Erkenntnisweise auch das damit unverträgliche trübe Gären und die Phantasmagorie des Mystizismus verbunden zu sehen. Ist man aber mit der Natur und Weise des Denkens vertraut, so weiß man, daß der Philosophie nur ihr Recht widerfährt, wenn man behauptet, daß wenigstens von Platon an - nicht etwa keine, noch die allerwenigsten, sondern - die allermeisten Philosophien vielmehr mit Vernunft und Verstand von jenem echten Gehalt, seiner Verschlingung in sich und deren Zusammenhang Kunde und Rechenschaft gegeben und die, deren Geist sich in der Philosophie einheimisch gemacht, diese Kunde und Rechenschaft besessen haben.

Aus jener hypochondrischen Methode fügt Tieck S. 539 hinzu, er habe "sich törichterweise oft bemüht, anderen jene Gefühle des Mystizismus zu geben". Was er hinzusetzt - keiner war so tief in Böhme, ja er argwöhne, selbst nicht in den Philosophen -, ist wohl nicht der richtige Grund, daß es ihm nicht gelang, denn dem J. Böhme gelang diese Mitteilung an Tieck selbst; sondern dies, daß ihm außer dem Organ der Philosophie, das er verkannte und verschmähte, das inwohnende Vermögen der Mitteilung, wodurch es ihm wohl vorher und nachher gelungen, Gefühle der Tiefe mitzuteilen, damals nicht zu Gebote stand. Denn er gibt von diesem Seelenzustande an, daß ihm die Lust an Poesie, an Bildern als etwas Verwerfliches, Verfehltes erschienen sei. Er fügt diesem Gemälde hinzu, daß, da er nun die Spekulation (!?) und das innere Leben gefunden zu haben glaubte, er dafür hielt, daß es sich mit weltlichen Beschäftigungen nicht vertrüge; so gab es viele Stunden, in denen er sich nach der Abgeschiedenheit eines Klosters wünschte, um ganz seinem Böhme und Tauler und den Wundern seines Gemüts zu leben. "Meine Produktionskraft, mein poetisches Talent schien mir auf immer zerbrochen." Diese interessanten Züge führen von selbst auf die Betrachtung, daß an und für sich mit solcher Hypochondrie, mit diesem Zustande der Unlebendigkeit und Form- und Gestaltlosigkeit des Geistes, ob sie schon inneres Leben, Wunder des Gemüts genannt sind, ebensowenig Spekulation verbunden sein kann als poetische Produktion.

Aber Tieck kommt aus diesem Zustande wieder heraus; es ist interessant zu lesen, was ihn geheilt hat; nur was "der Leichtsinn" und "der willkürliche Akt" in dieser Schilderung solle, ist nicht wohl zu verstehen: es war (S. 540) "mein alter Homer und die Nibelungen und Sophokles" (die Nibelungen zwischen sich zu finden, darüber könnten sich Homer und Sophokles wohl wundern), "mein teurer Shakespeare, eine Krankheit, Italien, eine Übersättigung an den Mystikern vorzüglich wohl mein sich regendes Talent, was mir im Verzweifeln neuen Leichtsinn gab; und fast ebenso leichtsinnig, wie ich in dieses Gebiet hineingeraten war, versetzte ich mich durch einen Akt der Willkür wieder hinaus und stand nun wieder auf dem Gebiete der Poesie und der Heiterkeit und konnte wieder arbeiten". Diese zurückgekehrte Fähigkeit zur Arbeit ist wohl das echteste Zeugnis von wiedererlangter Gesundheit des Geistes aus jener unfruchtbaren Abstraktion der Innerlichkeit; denn das Arbeiten heißt dieser Abstraktion entsagen und dem, was die Innerlichkeit an Gehalt hätte, Wirklichkeit und Wahrheit geben. In seine Urteilsweise aber hat Tieck den Sinn seiner Rückkehr zur Arbeit nicht vollständig aufgenommen; in seinen Ansichten bleibt jene Entzweiung und damit die einseitige und abstrakte Subjektivität noch ein wahrhafter, ja höherer Standpunkt. Um z. B. das Wesen der Größe Shakespeares oder der Poesie überhaupt in den Mystizismus desselben setzen zu können, wovon soviel die Rede ist, ist erforderlich, vielmehr von dem zu abstrahieren, was denselben zum Dichter macht, von der konkreten Bestimmtheit und entwickelten Fertigkeit der Charaktere und Handlungen; das Konkrete und Feste seines Gestaltens zur Abstraktion des Mystischen, Innerlichen zu verflüchtigen, ist die Wirkung eines reflektierenden Verstandes, nicht der die Idee und die Lebendigkeit fordernden und erkennenden Kritik. Mit dem inneren Leben, als Prinzip der Kritik, hat es in solcher Ansicht noch immer dieselbe Bewandtnis als früher im Zustande des Subjekts, daß [wie] gegen die entwickelnde Tätigkeit des Gedankens, so gegen die gestaltende der Poesie die Abstraktion festgesetzt ist.

Von diesem Standpunkt hängt nun auch ganz die Art ab, wie Tiecks Einsicht und Auffassung von der dichterischen Natur und Produktion Goethes beschaffen ist; wir haben ihrer hier zu erwähnen, insofern sie auf jenen Standpunkt selbst ihrerseits ein weiteres Licht wirft, und indem Tieck dies Verhältnis aus der vertraulichen, nur dem Freunde zunächst bestimmten Mitteilung herausgenommen und vor dem Publikum ausgelegt hat, zeigen sich die Äußerungen zugleich nicht als momentane Stimmung, sondern als konstantes Urteil. Er kommt öfters auf Goethe, und zwar mit Verstimmung, um dies Wort sogleich auch zu gebrauchen, zu sprechen; denn von dieser, und auch auf diese, geht das Urteil aus. Oben wurde aus der Kritik Solgers über die Genoveva angeführt, daß diesem die Absichtlichkeit und Reflexion, die nur sehnsüchtige, nicht im Dichter wirklich gegenwärtige Stimmung der Liebe und Innigkeit aufgefallen war, so daß, wie Tieck es richtig ausspricht, Solger das als Verstimmung erschien, was Tieck für Begeisterung gehalten hatte. Außerdem daß Tieck sonst Goethe manches übelnimmt (unter anderem, S. 488, ärgert es ihn, daß Goethe den Erwin noch nicht einmal gelesen), meint er S. 485, ein Autor selbst möge, was er früher Begeisterung genannt, später Verstimmung nennen; so scheine es ihm Goethe mit seinem Werther gemacht zu haben, und [er] fragt S. 487 unwillig: "Darf er, weil sein überströmendes junges Gemüt uns zuerst zeigte, was diese Welt der Erscheinungen um uns sei, die bis auf ihn unverstanden war, - darf er sich, bloß weil er es verkündigt, mit einer Art vornehmer Miene davon abwenden und unfromm und undankbar gegen sich und gegen das Schönste sein?" Goethe setzt in seinem Leben ebenso interessant als anmutig auseinander, wie er krank an einer freilich noch nicht metaphysischen, sondern sentimentalen Hypochondrie, einer noch nicht in die Abstraktion, sondern ins Leben verwickelten, noch lebenslustigen und lebenskräftigen Sehnsucht, gerade durch die Produktion jenes Romans diese Verstimmung aus sich herausarbeitete und sich davon befreite. Wie bei einer Krankheit, um von ihr genesen zu können, der Kern des Lebens noch gesund sein muß, so waren Herz und Kopf noch gesund, und ihre Kraft wurde die Poesie, welche das verstimmte Gefühl zum Stoff und Gegenstand zu machen und es zu einem äußerlichen Ausschlag hinauszuverarbeiten fähig war. Indem die Verstimmung nun zum Inhalt des Werkes wurde, hörte sie auf, Stimmung des Dichters zu sein; dieser machte sich durch die Arbeit ebenso in sich fertig, als das Werk selbst ein in sich fertiges, ein Kunstwerk wurde. Allein damit war er noch nicht mit dem lieben Publikum fertig; er beschreibt die Qual, die er sich von allen Seiten herbeigezogen, die ihn an allen Orten und fortwährend verfolgt hat; sie war, daß man ihm immerfort jene Krankhaftigkeit des Gemüts noch zutraute, ja sie in ihm gerne lieben und schätzen wollte. Und jetzt noch, nach dem, was nun ohnehin aus allen seinen Werken, was sogleich aus dem nächsten, dem Götz, hervorleuchtete, und nachdem er sogar jene Krisis und durch die Produktion bewirkte Kur beschrieben, soll er sich den Vorwurf machen sehen, daß jenes kranke Verständnis der Welt der Erscheinungen der rechte Verstand gewesen und daß er unrecht sich von solchem Standpunkte abgewandt und damit "unfromm und undankbar gegen sich" geworden sei. Aus dem Vorwurfe dieser Unfrommheit und Undankbarkeit folgt ganz natürlich die weitere Schrulle, der Vorwurf, daß "dieses herrliche Gemüt eigentlich aus Verstimmung, Überdruß sich einseitig in das Altertum geworfen", daß Goethe "sich damit vom Vaterland losreiße". - Es würde schwer zu sagen sein, ob ein Dichter tiefer in seinem Vaterlande wurzle als Goethe; aber wenn andere Ausländisches und Älteres, Shakespeare, Calderon usf., ebenso hoch oder höher stellen als Vaterländisches, so ist ihm doch ebensowenig ein Vergehen daraus zu machen, wenn auch ihm nicht alle einheimische Kunst, unter anderem die Poesie der Poesie, nicht zusagt und er in dem unverstimmten Altertume eine höhere Befriedigung findet; ohnehin handelt es sich nicht um Gegeneinanderstellung subjektiver Gefühle, sondern um Kunsteinsicht, auf Sinn, Studium und Nachdenken gegründet. Vollends unglücklich ist der Gegensatz auf der folgenden Seite (488): "Ich (Tieck) hatte auch die Antike gesehen, St. Peter, und konnte den Straßburger Münster nur um so mehr bewundern"; ist denn nicht Goethe einer der ersten gewesen, der den Sinn für den Straßburger Münster gehabt und für die Wertschätzung und Einsicht gleichsam denselben wieder erfunden hat?

Bei Erwähnung der Darstellungsweise der indischen Religion durch Friedrich von Schlegel (S. 709) sagt Solger sehr gut:
"Eine Hauptsache ist, daß man gleich alle hergebrachte Terminologie von Emanation, Pantheismus, Dualismus usw. fahren lasse.
Die einseitigen und leeren Begriffe, welche diese Ausdrücke bezeichnen, hat niemals ein Volk oder ein Mensch im Ernste gehegt, und sie stammen auch aus Zeiten her, wo man die lebendige Erkenntnis grausam anatomierte." So hätte es wohl auch für die philosophischen Unterhaltungen der beiden Freunde mehr Gedeihen gebracht, wenn die Ausdrücke von Mystizismus, innerem Leben, Poesie, insbesondere Ironie, ja auch von Religion und Philosophie selbst aus dem Spiele geblieben wären; denn alsdann hätte von der Sache und vom Inhalt gesprochen werden müssen. Diese Art zu urteilen ist eine entschieden negative Richtung gegen Objektivität - eine der Richtungen, welche von der Fichteschen Philosophie der Subjektivität ausgegangen. Solches Urteilen handelt nicht vom Inhalte, sondern dreht sich um verblasene Vorstellungen, welche die Sache der Religionen und Philosophien mit Abstraktionen von innerem Leben, Mystik, mit Reflexionsbestimmungen von Identität, Dualismus, Pantheismus usf. abtun.
Diese Manier erscheint zugleich als eine vornehme Stellung, welche mit der Sache fertig ist und über ihr steht; sie ist in der Tat mit der Sache in dem Sinne fertig, daß sie dieselbe beiseite gebracht hat; [sie ist] eine Stellung über ihr, denn sie ist in der Tat außerhalb derselben.

Die selbstbewußte Vereitelung des Objektiven hat sich Ironie genannt. Da die ausgezeichnetste ironische Individualität sich auf unserem Wege befindet, sei derselben kurze Erwähnung getan. In dem angeführten Zusammenhange bemerkt Solger zunächst sehr treffend von einem Teile der Bearbeiter der indischen Religion: 'Sie haben den Faden, an den ich alles anknüpfen kann, ganz einseitig theoretisch und dogmatisch herausgezogen, daß er gar nicht mehr das ist, was er als lebendiges Band war, und dies hat besonders Fr. Schlegel getan.' Dieselbe Beziehung, die hier bemerkt ist auf die Philosophie, hat sich dieser Vater der Ironie seine ganze öffentliche Laufbahn hindurch gegeben. Er hat sich nämlich immer urteilend gegen sie verhalten, ohne je einen philosophischen Inhalt, philosophische Sätze oder gar eine entwickelte Folge von solchen auszusprechen, noch weniger, daß er dergleichen bewiesen oder auch widerlegt hätte. Widerlegen fordert die Angabe eines Grundes und hiermit ein Einlassen in die Sache; dies hieße aber, von der vornehmen Stellung oder (um eine seiner vormaligen Erfindungen von Kategorien zu benutzen) von der göttlichen Frechheit (und auf der Höhe der Ironie läßt sich wohl ebensogut sagen: von der satanischen oder diabolischen Frechheit) des Urteilens und Absprechens, der Stellung über der Sache auf den Boden des Philosophierens selbst und der Sache sich herablassen. Herr Fr. v. Schlegel hat auf diese Art immerfort darauf hingewiesen, daß er auf dem höchsten Gipfel der Philosophie stehe, ohne jemals zu beweisen, daß er in diese Wissenschaft eingedrungen sei und sie auf eine nur gewöhnliche Weise innehabe. Sein Scharfsinn und Lektüre hat ihn wohl mit Problemen, die der Philosophie mit der Religion gemeinsam sind und welche selbst bei der philologischen Kritik und Literargeschichte in den Weg kommen, bekannt gemacht. Aber die Art der Lösung, die er allenthalben andeutet, auch nur prunkend zu verstehen gibt, statt sie schlicht auszusprechen oder gar philosophierend zu rechtfertigen, ist teils eine subjektive Lösung, die ihm als Individuum so oder anders konvertieren mag, teils aber beweist das ganze Benehmen seiner Äußerungen, daß ihm das Bedürfnis der denkenden Vernunft und damit das Grundproblem derselben und einer bewußten und gegen sich ehrlichen Wissenschaft der Philosophie fremd geblieben ist.

Tiecks Ironie hält sich in ihrem Verhältnis zur Philosophie von der Scharlatanerie frei und beschränkt sich überhaupt darauf, mit Beiseitesetzen der objektiven Gestaltung des Inhalts durch Denken, d. i. des Eigentümlichen der Philosophie, das abstrakte Allgemeine, das mystisch Genannte herauszulesen und, in Beziehung auf Solgers Philosophie, eine innige freundschaftliche Teilnahme zu haben, zuweilen sich zu deren Inhalt zu bekennen, gewöhnlich auf die explizierten Solgerschen Darstellungen und Erläuterungen die Erwiderung mit einer dieselben einwickelnden allgemeinen Zustimmung zu machen, mit der oft wiederholten gutmütigen Versicherung, Solger zu verstehen, ihn ganz zu verstehen, ihn endlich verstanden zu haben; im Jahre 1814 (S. 322) hatte er geschrieben, daß er (nach Lesung einiger Dialoge Erwins) erst jetzt glaube, Solger ganz verstanden zu haben; wie auch S. 320 Solger seine Zufriedenheit ausdrückt, daß Tieck bei mündlicher Unterredung ihm gestanden, daß ihm der Trieb der Begeisterung, wonach er in der Kunst gehandelt, durch die Solgersche Enthüllung erst zum klarsten Bewußtsein gebracht worden sei, was auch sonst noch wiederholt wird. So schreibt Tieck noch ebenso im Jahre 1819 (S. 711, auf die Mitteilung von philosophischen Briefen, die sich im 2. Bande dieses Nachlasses zum ersten Male abgedruckt finden): "Ich glaube Sie mit jedem Worte mehr zu verstehen, und immer mehr wird es mir deutlich, daß es dies war, was ich gesucht habe."

 

 

1) Friedrich August Wolf, 1759-1824, Altphilologe

2) Karl Eberhard von Schelling, 1783-1854, Obermedizinalrat

3) 3. Buch, 11. Kapitel

4) Figuren in den Lustigen Weibern von Windsor

5) *Jg. I, Mai 1827, S. 686-724 durch H. G. Hotho

6) Ph. Fr. Hiller, 1699-1769, geistliche Dichtungen

7) K. L. Sand ermordete 1819 August von Kotzebue

8) Wartburgfest im Oktober 1817

 

solger

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Karl Wilhelm Ferdinand Solger

* 28. November 1780 in Schwedt a.O. in der Uckermark;
† 25. Oktober 1819 in Berlin)

- Philologe und Philosoph des Deutschen Idealismus.

 

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