Notizen und Aphorismen
1818-1831
Zur Philosophie
(1)
Einseitigkeit der Philosophie ist das liebste Gerede, das man am häufigsten hört, und diese Kategorie gilt für einen Talisman, der ein für allemal gegen jede Philosophie, gegen jede Zumutung derselben usf. aushilft; ein absoluter Harnisch, an dem eine Prätention derselben wenn nicht an Bekanntschaft, doch auch an äußerer Achtung abgleitet. Eine Philosophie ist einseitig, weil sie eine besondere ist, und eine solche ist sie, weil sie eine bestimmte ist, oder besser überhaupt, weil es noch andere, abweichende von ihr gibt. - Was ist also zu tun, um nicht in solche Einseitigkeit zu verfallen? Die Klugheit gibt unmittelbar ein, sich nicht bloß mit einer, sondern mit den verschiedenen Philosophien bekannt zu machen; auf diese Weise nur setzt man sich in den Stand, erst wählen zu können, damit selbsttätig und selbständig zu sein. Ist dies nicht klug, ist dies nicht der hausbackene Verstand, der sich solches vor- und umsichtige Benehmen besonnen ausgedacht hat und sich wohl und vorzüglich dabei befindet?
Ohne Unglück ist solches Benehmen jedoch nicht; denn nachdem die Nüchternheit, um sich vor Einseitigkeit zu bewahren, zur Wahl sich entschlossen haben wird, so ist das, was sie gewählt hat, selbst wieder eine bestimmte, eine besondere Philosophie; denn sie ist unmittelbar von denen verschieden, aus welchen sie gewählt worden ist, oder auch gegen welche sie aus sich selbst etwas, das sie eine Philosophie nennt, produziert hat. Dieser hausbackene Verstand, indem er die Einseitigkeit vermeiden will, fällt damit nur selbst in sie, und seine Klugheit hat ihm nicht nur nichts geholfen, sondern ihn zu dem verführt, dem er entgehen will. Kant hat die Wolffsche, Humesche Philosophie gekannt, sich eine eigene gegen sie gemacht - also eine einseitige usf.
Es ist nur ein Weg, die gefürchtete Einseitigkeit zu vermeiden: nämlich von der Philosophie dispensiert zu sein, weil eine jede einseitig. Der Verstand enthält sich dann auch, zu wählen, sich zu entscheiden. Seine Philosophie haben oder gar zu wissen, daß es mit der Philosophie nichts sei, mit jeder nichts, dieses Negative, Leere, dem ist nicht abzusprechen, daß es von Einseitigkeit frei sei, - von der Einseitigkeit irgendeines Inhalts nämlich. Eben damit tritt sogleich wieder eine andere Einseitigkeit ein; denn Unwissenheit ist wieder nur eine Seite, etwas Besonderes, weil ihr ein anderes Besonderes, nämlich Kenntnis und Wissenschaft, gegenübersteht. In der Tat ist der Verstand mit seiner Hausbackenheit so nur vom Berge seiner Absurdität in den Abgrund seiner Dummheit herabgefallen. O du glückseliger Sancho Pansa! Wer, der den Don Quichotte gelesen, hat nicht sein Vergnügen an dir gehabt!
(2)
1. Taten *) des sich wissenden Gedankens. - Was, und Reihenfolge, in der der Gedanke es vor sich gebracht -
2. Mannigfache Verschiedenheit der zufälligen philosophischen Meinungen - Geben Entwicklung -
3. Beziehung auf Religion, Staat, Kunst -
a) Zusammenhang - Grundinhalt derselbe
b) Unterschied - Bewußtsein
c) Gegensatz - Philosophie freier Gedanke - rein in sich
α) Wahrheit β) Verkennung des religiösen Inhalts αα) wirklicher Gegensatz - in alter Religion unwahr ββ) nur gemeinter
d) Anfang - und was aus Zusammenhang
*) [darüber:] im Allgemeinen Bestimmung des Gegenstands. [darunter:] freie, wie Geschichte
Zur Religion und Geschichte
(3)
Haben die alten Völkersagen einen religiösen oder einen geschichtlichen Ursprung; sind es in Symbole verhüllte Religionssysteme, oder sind es in Fabeln verhüllte Geschichtserinnerungen?
(4)
Totendienst [der Ägypter].
Zu § Veränderung, Untergang
Aus der Ehre der Toten geht nichts hervor für Glauben an Unsterblichkeit des Geistes, da die Ägypter dem Vieh ebensolche Ehre erzeigten. Bei vielen Völkern [wurden] verstorbene Heroen zu Göttern erhoben; durch diesen Weg [sind sie] dazu gekommen, das Höhere als ein Geistiges zu fassen - dies nicht bei den Ägyptern; [sie haben] keinen Heroen geopfert, sondern nur Lebendigem, und zwar Vieh. - Zwar Totengericht - über die verstorbenen Könige sowohl als andere - von den Priestern gehalten - es sei von großer Wirkung gewesen, die vor diesen üblen Andenken [bewahre]; - Osiris' Totengericht - häufig vorgestellt. Aber an christliche Idee von Vergeltung und Bestrafung des Geistes darf man eben nicht denken - kein geistiges Totenreich- denn nach 3000 Jahren wieder als menschlicher Leib - indessen erhalten als Leben - in Tieren; - also nicht Annahme eines bevölkerten Hades - Unsterblichkeit beruht auf dem Gefühl der Unendlichkeit des Geistes in sich - aber dieser nicht vorhanden - sonst hätten sie sich nicht dem Vieh gleich, ja dieses nicht höher geachtet. - Einbalsamieren, das Sterbliche erhalten. Hätten sie an die Unsterblichkeit des Geistes geglaubt, [so hätten sie] nicht Sterbliches aufbewahrt. Iß und trink.
Priesterschaft kann nichts Besseres wissen; sie ist nicht ein Isoliertes - obgleich Kaste, in endlicher Wissenschaft, Kultur des Verstandes, aber nicht der Vernunft. - όσιον darum nicht eine Weisheit. - Herodot sagt einmal, er dürfe nicht sagen, mit was sich die Weiber bei einem Feste prügeln, denn es sei οσιο?ν. Moral: iß und trink, denn du wirst wie dieses ... [?] Nach dem Essen ein geschnitztes Bild von einem Toten herumgeboten.
(5)
Es kann und ist bei den Orientalen heraus, diese Negation -Poesie des Todes und der Eitelkeit aller Dinge um des Todes willen, - Verachtung des Todes, sowie höheren Zwecks (Mühe und Arbeit ist eitel) - und Genuß des Lebens. - Charakter persischer Dichter, Hafis - völliger - poetischer -
Bei Ägyptern wissen wir nichts von Poesie - Herodot [erwähnt] ein Lied, Linos, das sie singen, auch die Phönizier. Ich glaube sogar, er sagt, es sei das einzige gewesen, das sie singen - sonst Geschrei, Geheul - poetisch, - ungeheure Ungebundenheit des sinnlichen Genusses.
- Ausführung: iß und trink und liebe -
(6)
Sphinxengänge - Propyläen vor den ägyptischen Tempeln.
Hirt, Gesch. der B[au]kunst I, p. 30: "Sphinxe bewachten die Zugänge des Heiligen, um die Frommen mit Scheu zu erfüllen."
Zu vergleichen mit unserem Glockengeläute, als Vorbereitung, allgemeine Stimmung.
Glockengeläute ist Ton, subjektive Vorbereitung, Stimmung des Innern.
(7)
Livius I. 45.
Servius Tullius führt den Dienst der ephesischen Diana ein, deren Tempel von den asiatischen Völkerschaften gemeinschaftlich gestiftet werden soll, um ebenso die Lateiner und Römer zu verbinden.
Dienst der Götter, äußerlich, trocken eingeführt, nicht aus eigner Anschauung und Geist. - Römer ohne Mythologie.
Securi adversus Deos, sagte Tacitus gegen die Römer von den Deutschen; - gegen die abergläubischen Römer. Febris, Pestis
(8)
wie Cloacina waren ihnen Götter. - Davon ist nicht weit zum Teufel. - Jene [sind] nur physische Teufeleien - sie ins Geistige erhoben, so haben wir Teufel.
(9)
Christus, den Menschen vorgestellt, ist noch ein ganz anderes Rätsel als das ägyptische. Dieses ist der Tierleib, aus dem ein Menschenangesicht herausbricht, - aber dort der Menschenleib, aus dem der Gott hervorbricht.
(10)
Es gibt solche, welche die spekulative Erkenntnis der christlichen Mysterien darum hassen, weil sie das Verdienst der Unvernunft verlieren. Der wahre Glaube ist unbefangen, ob die Vernunft ihm gemäß sei oder nicht, ohne Rücksicht und Beziehung auf die Vernunft; aber der polemische Glaube will glauben gegen die Vernunft.
(11)
Bewußtsein über die Innerlichkeit der Menschen
α) Hexenprozesse
β) Inquisition
γ) Kasuistik
δ) Reformation.
Es ist das Innere, das Herz, worauf es ankommt.
α) Dies Innere [ist das] Böse; - Glauben an dasselbe und Gegenwart im Menschen und Verfolgen desselben.
β) Ebenso Verfolgen des Bösen, - Glauben an dasselbe, in Vorstellungen es setzen in Abweichungen von Sätzen der Kirche.
γ) Alles Bestimmte aufheben - das Gute und Böse, in der Gesinnung - Grund, der sich stütze auf irgendein Kirchliches, suchen
δ) Göttliche Gesinnung wesentlich im Herzen.
(12)
Canova wollte die Kirche, die er in seiner Vaterstadt erbaute, Gott weihen. Dies wurde nicht zugegeben - (als impie?!). Brahma hat keine Tempel in Indien. Protestantische Kirchen sind Bethäuser. Gotteshäuser: Name im südlichen Deutschland.
(13)
Im Jahre 1764 wurde in Danzig ein neues Gesangbuch gefertigt. Von Gellert kamen nur zwei Lieder hinein, und zwar, wie sich das Geistliche Ministerium deshalb ausdrückte, weil er "auch ein Komödiendichter" war.
(14)
In Rußland wurde das Tabakrauchen 1634 bei Verlust der Nase verboten. In Konstantinopel wurde 1610 ein Türke mit durch die Nase gestoßener Pfeife zur Warnung durch die Straßen geführt. - Die Päpste Urban VIII. und Innozenz XII. taten alle in den Bann, die in der Kirche schnupfen würden. Benedikt XIII. mußte 1724 die Exkommunikation seiner Vorgänger zurücknehmen, weil er sich selbst an den Tabak gewöhnt hatte.
(15)
In der Weltgeschichte gilt die Einteilung - wie bei den Griechen und Römern - der Völker in zwei Teile: Griechen und Römer - und Barbaren.
(16)
Gottesfrieden - Frieden auf eine Zeitlang, oder an gewissen Orten; Burgfrieden - Anfang von partikul[ärem] Frieden.
(17)
Die russischen Frauen beklagen sich, wenn sie von ihren Männern nicht geprügelt werden - sie haben sie nicht lieb. Dies ist die Weltgeschichte. [Auch die Völker] wollen die Hundepeitsche.
Zur Ästhetik
(18)
Über von Kügelgens Bilder
(1820)
Auf der diesjährigen Kunstausstellung in Dresden befanden sich die vier letzten Arbeiten von [Gerhard von] Kügelgen, Brustbilder in Porträtgröße und -format, von Christus, Johannes dem Täufer und dem Evangelisten, und vom Verlorenen Sohn.
Es ist αa) die Porträtgröße und -format wohl für einen Christuskopf passend, aber was ein Porträt von den anderen sagen soll, ist nicht abzusehen, vollends [nicht] vom Verlorenen Sohn und Johannes dem Evangelisten, von welchen jener wenigstens kein Heiliger ist.
β) Die Art ihres Ausdrucks und Charakters ist ferner selbst insofern porträtmäßig, als sie nicht sowohl Charaktere, Physiognomien eines anderen Volkes, einer anderen Zeit, einer anderen Welt, in sich ruhende, eigentümliche Gestalten ausdrücken, sondern den Grundton moderner Gesichtsbildung zeigen: [der] Blick, besonders [der] Mund und dessen ganze Umgebung enthält eine Ausarbeitung (es ist nicht die technische gemeint) der Muskeln, die moderne Reflexion, geistige Tätigkeit, Empfindung, viel Gedacht-, Gesprochenhaben usw. [spiegelt], die in diese untere Partie des Gesichts, welche bei den Alten ohnehin meist der Bart bedeckte, den Ton einer vielseitig bewegten und durchgearbeiteten Seele, [eines] nach vielen Richtungen und Verhältnissen hingegangenen, an sich haltenden, überlegten und geäußerten Benehmens bringt. Wo bei den Alten kein Bart ist - bei jungen und weiblichen Figuren -, ist die Form der Masoteren einfach, rund, und so die ganze Umgebung des Mundes nicht nur in momentaner Ruhe, sondern so, daß man sieht, diese Partie hat das ganze Dasein hindurch geruht. Die modernen Porträts - eines Dürer, Holbein - haben einen Teil ihrer Vortrefflichkeit in diesem geistreichen Fleiß, der in die kleinste Partie hinein den Reflex eines denkenden, betätigten, vielbeschäftigten Lebens bringt. Ihm steht entgegen das Großartige der Bildung der Antike ebenso wie das Einfache, Reine Raffaelscher Figuren.
γ) An Johannes dem Evangelisten, aber vornehmlich am Verlorenen Sohn erscheint der Ausdruck - in diesem der Zerknirschung - als ein Zustand, als eine historische Situation, als ein Momentanes, und der Grundlage der Physiognomie sieht man an, daß sie ganz andere[r] Zustände, des Glücks usf. fähig und jener Ausdruck ein nur vorübergehender sein kann. Von einer büßenden, betenden, knienden Magdalena, auch von einem jungen Künstler, machte eine empfindende Frau die Bemerkung, daß die Buße sie nicht durchdrungen und [daß], wenn sie aufgestanden, sie wieder sein könne wie vorher. In Correggios Magdalena ist diese ewige Tiefe und frommes Sinnen einer edlen Seele vielmehr das Grundwesen, und daß sie leichtsinnig gewesen, liegt hinter dem ganzen Charakter ihres Geistes: man weiß es mehr nur sonstwoher, historisch; diese Seite ist das Momentane, ein Fehler, der vergänglich ist, ein Vorübergegangenes.
Dies macht einen Hauptunterschied der großen Meister aus, - das Ewige, Unvergängliche in einem Ausdruck, der dies Ganze durchdringt, so daß nichts vor und nach, nichts anderes in diesem Charakter sein kann. Correggios Heiliger Franziskus usw., sie sind nur dies durch und durch und immer, was sie hier und jetzt sind; - es ist keine Situation, die Situation gibt nicht den Inhalt; sondern [es ist] die Form eines erhöhten, deutlicheren Ausdrucks oder bloß der Äußerung dessen, was sie in allem, durch und durch und immer sind.
Der Unterschied des eigentlichen historischen Stils liegt hierin. Alexander z. B. in einer Situation ist mehr, als was sich in dieser Situation ausdrückt; das Mehr ist sein Ganzes, und die Situation ist eine darin hervortretende Einzelheit - oder 11/563 selbst ein Heterogenes, ein Erstaunen, Huld usf. (die Umgebung erklärt dies) -, die sich als ein zugleich Äußerliches und Momentanes auf dem Spiele des Gesichts und [in der] Stellung zeigt, - einem Spiegel, der noch unendlich viel anderes darstellen kann. Aber die Mutter Maria mit dem Kinde oder am Kreuze stehend ist ewig und immer nur dieses; in welche Situation sie auch komme, so behält sie diesen Grundcharakter.
(19)
Idee - reichere Kompositionen - Idee des Künstlers; Friedrich Schlegel -
Gruppierung, Anordnung, Kolorit.
Sinnlich scheußlicher Anblick - Gegenstände: Bartholomäus geschunden - Ochsen aufgeschnitten - s. Sulzer!
Malerei - in neueren Zeiten zum Gottesdienste; Christus am Kreuze - Marienbilder - Gegenstände der Verehrung - Tempelgemälde - bei den Alten mehr Skulptur - Heiligenbilder -Wahrheit und Lebendigkeit - Winckelmann, [Geschichte der Kunst] I. Bd. S. 258. Mäßigkeit hierin, - Malerei verführerisch - vornehme moderne Zeit.
Malerei, forcierte Stellungen, Abkürzungen - Bernini - Winckelmann, Vorrede S. XXV.
a) Idee - Zeichnung, skizzenhafte, zu gewaltsamen Stellungen; Malerei in Skulptur hineingebracht.
b) Technik - Verdienst der Malerei - Kolorit - Ölmalerei. Malerei - Handlung für sich verständlich, d. i. durch den Sinn des Gesichts.
Eine Figur steht vor einer andern, sprechend, - nicht verständlich - Worte aus dem Mund herausgehend -
Verkündigung der Maria durch den Engel, ganz bekannt aus der Legende. - Vaterländisch-historische Szene, nicht aus reinem Interesse; - Bezüglichkeit auf die Gegenwemart. - Mythologische und allegorische. Man ist in allem herumgekommen. -
Schlachtenstücke - der Sieg durch Mut, mehr eine Szene als Handlung - Wort und Bezeigung eines Verhältnisses. -
[Sze]nen, christliche - Die Flucht - Huldigung der Drei Könige - büßende Magdalena.
(20)
Musikalische Komposition von hic, haec, hoc von [Giacomo] Carissimi, für den Gesang (wird für vortrefflich ausgegeben). Zeichen der Sinnlosigkeit der Musik! Es soll es einer zu malen oder ein Gedicht darüber zu machen versuchen!
(21)
Goethe hat sein ganzes Leben die Liebe poetisch gemacht - sein Werther - (an diese Prosa sein Genie verschwendet). Die Poesie der Liebe hat er in den Orientalen kennengelernt - sein Diwan.
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