Über eine Anklage wegen öffentlicher Verunglimpfung der katholischen Religion
Berlin, den 3. April 1826
Auf die im Auftrage des Herrn Ministers mir von dem Herrn Geheimen Rat Schulze gemachte vertrauliche Eröffnung in Beziehung auf eine Angabe von Äußerungen, die ich über die katholische Religion in meinen Vorlesungen gemacht haben soll, finde ich mich veranlaßt, folgende Bemerkungen zu machen, deren wesentlichen Inhalt ich bereits öffentlich vom Katheder an meine Zuhörer gerichtet nachdem ich von jener Klage in Kenntnis gesetzt worden bin:
1. daß von mir als Professor der Philosophie, auf einer Königlich Preußischen Universität, in Berlin und als lutherischem Christen nicht anders erwartet werden dürfe, als daß ich mich nach diesen Qualitäten über die Lehren und den Geist des Katholizismus aussprechen werde; daß es etwas Neues sei, wenn dies auffallend befunden werde; eine andere Erwartung hätte ich als persönliche Beleidigung, ja als eine Beleidigung der hohen Regierung anzusehen, welche nicht nur tolerant gegen die evangelische Kirche sei, sondern welche ausdrücklich seit langem die erhabene Stellung eingenommen, an der Spitze der evangelischen Staaten Deutschlands zu stehen und auf welche alle Protestanten immer ihre Augen richten und in ihr ihre Hauptstütze und festen Haltungspunkt sehen.
2. daß ich nicht eine Gelegenheit vom Zaune gebrochen, um über die katholische Kirche zu sprechen; sondern in meinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie habe ich wie bei der Philosophie der Kirchenväter über die christliche, so bei der scholastischen Philosophie über die katholische Religion notwendig zu sprechen gehabt, als innerhalb welcher jene sich bewegt und an ihr ihre Grundlage hat.
3. daß ich im wissenschaftlichen Interesse, welches ich bei meinen Vorträgen allein vor Augen habe, es nicht bei milden und schüchternen, noch bei bloß verdammenden und absprechenden Allgemeinheiten habe bewenden lassen, sondern die katholische Lehre in ihrem Mittelpunkte, der Hostie, habe auffassen, von dieser sprechen und mit wissenschaftlicher Bestimmtheit über sie habe sprechen müssen und daher die Lehre Luthers als die wahrhafte und von der Philosophie ihrerseits für die wahrhaftige erkannte auseinandergesetzt und ausgesprochen habe. Ich würde übrigens hier in dieser Erklärung respektwidrig zu handeln glauben, wenn ich mir das Recht, das mir als lutherischem Christen zukommt, ausdrücklich vorbehalten wissen wollte, die katholische Lehre von der Hostie kurzweg für papistischen Götzendienst und Aberglauben erklären zu dürfen.
4. daß, was die Angabe betrifft über Konsequenzen, die ich aus dieser katholischen Lehre gezogen, so könnte ich mich auf das Recht des mündlichen Vortrags berufen, dessen Sinn, in Rücksicht auf beiläufige Erwähnungen wenigstens, oft auf Nuancen selbst des Tons der Stimme beruht und der daher durch leichte, unscheinbare Abweichungen, Weglassungen oder Zusätze verändert, ja gänzlich verkehrt werden kann, und ich erinnere mich bestimmt, hierbei zum Teil ganz in unbestimmtem, hypothetischem Sinne gesprochen zu haben. Was aber die Sache betrifft, so muß es mir gleichgültig sein, ob und welche Konsequenzen die katholische Kirche an ihre Lehren knüpfte, - gleichgültig einmal nach der historischen Seite hin, nach welcher mir nur zu bekannt ist, wie mancherlei offen und breit behauptete Konsequenzen, wie z. B. Anmaßungen der Päpste und des sonstigen Klerus über die weltliche Gewalt der Fürsten und Obrigkeiten sowie über die Glaubensfreiheit der Christen überhaupt, über die von der katholischen Kirche abweichenden Konfessionen und deren Verwandte, über die Wissenschaft insbesondere usf., auch hinwiederum umgekehrt abgeleugnet worden sind, Lehren und Behauptungen der katholischen Kirche zu sein; - gleichgültig das andere Mal, indem, wenn sie urteilt, eine Konsequenz fließe nicht aus einer ihrer Prämissen, oder gar, sie fließe wohl daraus, solle aber nicht gemacht werden, mir hierüber nicht das Urteil der katholischen Kirche, sondern mein Urteil gilt.
5. daß, wenn die, so meine Vorträge angeben, über Konsequenzen, die ich gezogen haben soll, sich empfindlich zeigen, sie sich dagegen haben zuschulden kommen lassen, für sich das Recht anzusprechen, sogar persönliche Konsequenzen zu ziehen, denen eine Verteidigung entgegenzusetzen ich hier zunächst, wie ich es für überflüssig halten zu dürfen das Vertrauen habe, auch unter meiner Würde finden muß; wogegen bei einer förmlich gemachten Mitteilung ich wohl eine Klage bei dem Königlichen Ministerium oder etwa auch vielmehr bei den Königlichen Gerichten zu erheben haben möchte. Das Amt eines Professors, insbesondere der Philosophie, würde die penibelste Stellung sein, wenn er auf die Absurditäten und Bosheiten, die, wie andere und ich genug Erfahrung gemacht, über seine Vorträge im Umlauf gesetzt werden, achten und sich einlassen wollte. So finde ich unter den mir angeschuldigten Äußerungen vieles, was ich mit der Qualität von Mißverständnissen kurz abweisen und bedecken könnte, aber es mir schuldig zu sein glaube, näher einen Teil für Unrichtigkeiten und Mißverständnisse eines schwachen Verstandes, einen anderen nicht bloß dafür, sondern für Unwahrheiten, und einen Teil auch nicht bloß für falsche Schlüsse aus falschen Prämissen, sondern für boshafte Verunglimpfungen zu erklären.
6. daß, wenn eine Klage wegen Äußerungen, die ich auf dem Katheder vor katholischen Zuhörern getan und die ihnen ein Ärgernis gegeben, [geführt wird,] sie entweder nur sich selbst anzuklagen hätten, daß sie philosophische Vorlesungen auf einer evangelischen Universität bei einem Professor, der sich dessen rühmt, als Lutheraner getauft und erzogen zu sein, es ist und bleiben wird, besuchen, oder ihren Oberen Schuld beizumessen hätten, welche sie nicht davor warnten oder, wie anderwärts in Ansehung der katholisch-theologischen Studenten geschehen, es ihnen verboten.
Hegel, Prof. p. o. der Philos. auf hies. Königl. Univers.
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