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Über die Bekehrten

[von Ernst Raupach]

(Antikritisches)          [in: Berliner Schnellpost, 1826, Nr. 8/9; Beiwagen zur Berliner Schnellpost, Nr. 4 ]

Vom 11. Januar 1826

Nach der gestern erfolgten zweiten Aufführung des neuen Raupachschen Stücks Die Bekehrten erlauben Sie mir, einige antikritische Bemerkungen über die Kritik, die Sie im dritten Stücke der Schnellpost davon gegeben, zu übersenden, indem ich es Ihrem Urteil überlasse, ob Sie dieselben, die nicht auf Humor und Witz gestellt sind, in Ihr von beiden sprudelndes Blatt aufnehmen mögen.

Die erste Bemerkung betrifft gleich die Beziehung Ihrer Kritik auf die gestrige Aufführung. Bei der ersten war das Haus, wie Sie gesehen haben werden, nicht voll; die beiden Reihen Logen waren so gut wie ganz leer! - Ich stimmte von Herzen in die Deklamationen eines unserer Bekannten ein, der sich darüber ereiferte, nicht lebhaftere Neugierde auf ein neues Stück eines Autors zu finden, der die Bühne schon mit mehreren beliebten Produkten bereichert hat; jener Bekannte hatte, wie er sagte, bei seinem späten Hingang zum Schauspielhause eine Queue vor den Türen zu finden gehofft, der entweder bereits die Hände aus äußerlicher Kälte in die innere Wärme vorausklatschte oder auch die Erfüllung dessen, was geschrieben steht, ahnen ließe: siehe, die Füße derer, die dich hinauspochen werden, stehen schon vor der Türe. Keins von beiden, - die Gleichgültigkeit ist immer das Schlimmste. Nun stand weiter zu hoffen, eine Anzeige in Ihrem Blatte werde auf das Stück, wenigstens auf das Interesse aufmerksam machen, welches von dem Publikum für ein neues Stück zu erwarten sei.
Solche Lauigkeit aber, wie sich für die zweite Aufführung, so sehr als für die erste, frischeste, zeigte, kann weder für Schauspieler noch für Verfasser aufmunternd sein. Wenn die Zuschauerschaft, die sich zufälligerweise an einem Abende einfindet, von der Art zu sein pflegt, nur à la fortune du pot gekommen zu sein, bloß um die Langeweile etwas besser als zu Hause zu vertreiben, so weiß, auch nach bestandener erster und zweiter Aufführung vor der trägen Masse, weder Dichter noch Schauspieler, noch selbst Intendanz recht, wie sie mit dem Stück und dem Spiel bei dem Publikum daran sind.

Der Schnellpost-Artikel über Die Bekehrten war nicht von der Art, die Lauigkeit und Trägheit zur Teilnahme und Bezeigung einer Teilnahme zu bekehren. Er läßt dem Spiele der sämtlichen Schauspieler zwar die gebührende Gerechtigkeit widerfahren, daß dasselbe befriedigend nicht nur, vortrefflich, ja ausgezeichnet gewesen. Diese Harmonie des Genusses ist schon nichts Alltägliches; welcher Unterschied entstand durch solche Art von Harmonie und Disharmonie für die Wirkung der letzten Aufführungen von Don Juan und Armide!

An die Anerkennung, welche Sie den Leistungen der Schauspieler angedeihen lassen, knüpfe ich aber die Frage an, ob der Dichter nicht seinerseits die Aufgabe in der Hauptsache müsse erfüllt haben, wenn er Situationen und Charaktere gezeichnet hat, in denen Künstler, die wir als vorzüglich kennen, in den Stand gesetzt wurden, ihr Vermögen zu entfalten und geltend zu machen. Es hilft nichts, wenn ausgezeichnete Schauspieler an mittelmäßige Rollen die viele Würze ihres Talents aufbieten; in mittelmäßigen Rollen mögen mittelmäßige Talente leicht sich als gut ausnehmen, ausgezeichnete werden eher nur eine mittelmäßige Erscheinung hervorbringen; so werde ich in dem Prinzen von Pisa durch den Widerspruch dessen gequält, was Herr Beschort und selbst Madame Stich in ihren Rollen leisten können und was sie für sich zu leisten vermögen. 

Um aber Ihrer Kritik näherzukommen, so macht sie es sich vornehmlich mit der Fabel des Stücks, mit der Handlung oder vielmehr mit dem Mangel an Handlung zu tun. Sie lassen sich in eine Charakterisierung der allgemeinen Manier des Herrn Verfassers verfallen. Als Hauptzug hebe ich zunächst aus, daß derselbe sich zu sehr gefallen, mit Außerwesentlichem, mit Zufälligem zu spielen, - daß seine Lustspiele aus einer überschraubten Gewaltaufgabe eines blinden Zufalls fließen. Ich kenne nur wenige der Raupachschen Stücke, will aber dessenungeachtet sogleich wieder die Frage hinzusetzen, und zwar nicht die allgemeinere: sollen wir mit dem Zufälligen, dem Außerwesentlichen mehr als spielen?, sondern die nähere Frage, ob nicht eben dies die Natur des Lustspiels ist, mit dem Zufälligen, dem Außerwesentlichen zu spielen. Auf diesem Boden ohnehin ist es daß sich die heiteren Lebensverwirrungen ergeben, die Sie für das Lustspiel fordern. Von dieser heiteren Art ist denn auch der eine Teil der Verwirrungen in den Bekehrten, der andere freilich ist ernsterer Art; würde aber ein Lustspiel ganz des Ernstes entbehren, so sänke es in der Tat zum Possenspiele und noch tiefer hinab. Wenn Sie zwar dieses Stück - doch wohl nur nach einer Seite oder in einem Augenblick der Laune - für ein Possenspiel anzusehen geneigt scheinen, so halte ich dies selbst noch immer für ein größeres Kompliment, als wenn, wie wir neulich gesehen, das Publikum das Lustspiel in ein Schauspiel umtauft und der Verfasser selbst dazu Gevatter steht. Wäre es um Autoritäten für Nicht-bloß-Heiteres in den Lustspielen zu tun, so würde ich vor allem den Aristophanes zitieren, in dessen meisten, für uns wenigstens farcenhaft zugehenden Stücken zugleich der allerbitterste Ernst, nämlich sogar der politische, und zwar in allem Ernste, das Hauptinteresse ausmacht. Ich könnte fortfahren und die Shakespeareschen Lustspiele anführen, allein ich finde, daß Sie das Heitere nicht sowohl dem Ernste als dem Zufälligen und Gewalttätigen der Zufälligkeit entgegensetzen, und will daher nur dies noch bemerken, daß mir in dem neuen Lustspiele gerade darin das richtige Verhältnis getroffen scheint, daß die ernsthaften Verwicklungen, die Verwicklungen der tieferen, edleren Leidenschaften, der würdigeren Charaktere, aus den komischen Verwicklungen der untergeordneten Personen herkommen.

Es wird auf die nähere Art und Weise ankommen, wie das Zufällige hereingelassen ist. Herrn Raupachs Erdennacht, Isidor und Olga und was sonst von ihm früher auf die Bühne kam, kenne ich nicht; was ich von diesen Stücken gehört, macht mich vermuten, daß Herrn Raupachs dramatisches Talent vielleicht seitdem eine heiterere, wahrhaftere Ansicht gewonnen und eine glücklichere Laufbahn gewählt hat; es ist nicht für billig zu achten, Vorurteile, die aus jenen ersten Arbeiten geschöpft sein mögen, in die Betrachtung anderer Produktionen einzumischen. So habe ich in dem neuen Stücke nichts von einer Disharmonie eines Gemüts in "sich selbst" finden können, sowenig als in der Kritik und Antikritik und in Alanghu. Warum sollte nicht ein Autor, der Bekehrte auf die Bühne bringt, sich selbst bekehrt haben können, insbesondere wenn das, was in Früherem unangenehm war, etwa mehr einer Verstandesansicht über einen Kreis äußerlicher Verhältnisse oder einer Theorie der Kunst als dem Talente selbst angehörte. Nur Mangel des Talents ist unverbesserlich; aber auch ein solches, das Erfreuliches zu leisten imstande wäre, wird von einer schiefen, verderblichen Richtung schwer abzubringen sein, wenn es in selbstgemachte Sublimitäten einer Kunsttheorie festgerannt ist und sich jene durch diese rechtfertigt. - Alanghu, das zwei Tage nach den Bekehrten gegeben wurde, zu sehen, hatte mir das letztere Stück Lust gemacht. Wie ich in Ihrem Artikel las, daß Herr Raupach sich gefalle, mit dem Außerwesentlichen, Zufälligen zu spielen, so fiel mir dabei mehr noch Alanghu als die Bekehrten ein, und ich will mich zunächst über den einen Sinn erklären, in dem ich wohl damit übereinstimme, daß Herr Raupach es mit dem Zufälligen nicht genau genommen habe. In Alanghu wird die Verwicklung durch die Eifersucht eines der Chefs in der Horde und deren Verbündung mit dem Fanatismus und Hochmut des Lama, die Entwicklung durch den Gott aus der Feuerwerker-Maschinerie, der den Priester totblitzt, bewirkt, wie jene in den Bekehrten durch die Gespenstererscheinung, die hier jedoch nur als Posse gebraucht wird, eingeleitet ist. Dergleichen Motive gehören freilich zu den ganz abgedroschenen Theatercoups, und es liegt nahe, an den Dichter die Forderung zu machen, daß er uns mit etwas durch die Neuheit Pikantem von Zufälligkeit überrascht hätte. In der Tat aber ist in die Erfindung der Begebenheiten kein besonders großes Verdienst zu setzen; sie sind nur der äußerliche Rahmen für die Charaktere, für die Leidenschaften und deren Situationen, für den eigentlichen Stoff der Kunst. Die Fabeln, die Sophokles in der Antigone, Elektra usf. behandelt hat, waren doch auch wohl sehr abgedroschene Geschichten - wie die Geschichten, die Shakespeare bearbeitete, aus Chroniken, Novellen, der bekannten Historie usf. genommen und wenigstens nicht seine Erfindung sind. Es ist um das vornehmlich zu tun, was der Dichter in solchen Rahmen eingeschlossen hat. In Alanghu hat Herr Raupach zu dem vielleicht nachlässig und bequem aufgenommenen Beiwesen einen etwa auch nicht weit hergeholten Mittelgrund einer tatarischen Horde hinzugefügt, der es aber sogleich auch äußerlich noch natürlicher und möglicher machte, jene breite, weinerliche Empfindsamkeit, jene weinerliche, matte und oft schlechte Moralität oder die krampfhafte Leidenschaftlichkeit einer beschränkten oder verkehrten armen Seele, an denen wir so lange gelitten und unsere Tränen erschöpft haben, zu verbannen und dagegen das uns längst verleidete Bild eines Naturkindes wieder in sein theatralisches Recht einzusetzen. Wir können uns mit der Unbedeutendheit, vielleicht selbst Trivialität des Rahmens aussöhnen, weil er als die äußerliche Bedingung erscheint, die Hauptfigur einzuführen, - ein Bild von lebens- und seelenvoller Natürlichkeit, das durch diese Zeichnung die Schauspielerin in den Stand setzt, alle Seiten ihres Talents, Gemüts und Geistes zu entfalten und uns das anziehende Gemälde feuriger, unruhiger, tätiger Leidenschaftlichkeit mit naiver, liebenswürdiger Jugendlichkeit, der lebhaftesten, entschlossensten Energie, mit empfindungsvoller, geistreicher Sanftmut und Anmut verschmolzen, vor die Seele zu bringen. Eine solche Hauptfigur drückt die Umgebung, wenn sie auch mit mehr Bemühung erfunden wird, sehr bald zu außerwesentlichen Zufälligkeiten herab.

Doch bei Gelegenheit der Bekehrten sprachen Sie nicht sowohl von zufälligen Zufälligkeiten als von gezwungener, von überschraubter Gewaltaufgabe, die vermittels eines gemachten Zufalls gemacht wird. Wenn, wie es scheint, das Verhältnis von zwei jungen Liebenden, deren Temperament durch ihre natürliche, aber noch unbesonnene oder ungezogene Lebhaftigkeit in Heftigkeit gegeneinander verfällt und sie bis zur Feindschaft entzweit, nicht in jenen Ihren Tadel eingeschlossen ist, so trifft derselbe dagegen ganz den alten Grafen, der, um dem Neffen die Geliebte zu erhalten, sich selbst mit ihr trauen, dann vom Papst scheiden lassen, seinen Tod und Begräbnis gespielt hat und nun in der Exposition des Stücks als Eremit auftritt. Ob solche Großmut für sich allzu abenteuerlich, ob sie für ein Lustspiel zu abenteuerlich sei, darüber ließe sich wohl hin und her reden; aber ich würde nicht absehen, wie man es darüber zu einer entscheidenden Ansicht bringen könnte. Doch ist hierbei daran zu erinnern, daß die Voraussetzung, welche jedes Drama hat, auf Handlungen und Begebenheiten beruht, die der Eröffnung desselben im Rücken liegen; mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit, die ohnehin ein sehr relatives Ding ist, in dem, was bereits hinter uns ist, kann uns eben nicht viel kümmern. Was uns wesentlich angeht, ist die dadurch herbeigeführte Situation für sich; sie ist das Gegenwärtige, das interessant und im Lustspiele pikant sein soll. Wir sind es ohnehin längst gewohnt, auch selbst für die Tragödie in Ansehung der Voraussetzungen uns vieles gefallen zu lassen. Ich führe das nächste Beispiel an, an das ich durch häufige Erklärungen eines Bekannten dagegen erinnert werde; bei Lear ist die Voraussetzung die Abtretung seines Reichs, und daß er das schlechte Herz (man kann es nicht einmal schlechte Gesinnung nennen) seiner beiden älteren Töchter und die baren Niederträchtigkeiten seiner beiden Herren Eidame gar nicht in seiner Empfindung gehabt, gar nicht gekannt habe; - immer für sich eine starke Zumutung, solche Voraussetzung zulässig zu finden, wenn man sie auch nur als die äußerliche Bedingung für das Schauspiel des sich von da aus entwickelnden, wahnsinnigen Kummers betrachten will.

Es versteht sich aber von selbst, daß der Dichter diese Gleichheit nach Weiblichkeit und Männlichkeit zu nuancieren hatte, ebenso, daß die Frau dabei nur gewinnen konnte; darum mag auch hier nur diese Modifikation näher erwähnt werden, die der Dichter mit einer Zartheit behandelt hat, welche, anvertraut der Künstlerin, die wir als Julia des Romeo kennen, ihr volle Wirkung tun mußte.
In Torquato darf es nicht schwerhalten, die alte Empfindung und die Hoffnung wieder zu erwecken; in Klothilde geschieht dieser Übergang durch eine schöne Stufenfolge, deren Reize um so anziehender sind, je mehr sie zugleich innere Wahrheit hat.
Die Stimmung der ersten Situation exponiert sich in dem noch unbelebteren, aber ruhigen und edlen Sinn einer schmerzlosen, nicht empfindsamen, kläglichen Trauer einer empfindungslos gewordenen, doch interessant gebliebenen Erinnerung. Diese Ruhe wird gestört in dem Wiedersehen Klothildens mit Torquato; der erste Moment darin erinnerte uns an Julia, mit dem Unterschiede freilich, daß Julia indem bei ihr in der Unwissenheit der Liebe, Klothilde aber, indem hier nur in deren Schlaf und äußerlicher Erinnerung diese Empfindung, dort als nie vormals gefühlt, hier wiedererwachend eintritt, von der gleichen reizenden Verlegenheit übergossen wird. Klothildens Verlegenheit - eine Schüchternheit gegen sich selbst so sehr als gegen Torquato - wird darum eine reichere Szene; Stellung und Arme bleiben, das Auge, das man sonst in lebhafter Bewegung zu sehen gewohnt ist, wagt es zuerst nicht aufzusehen, seine Stummheit unterbricht hier und da ein nicht zum Seufzen werdendes Heben der Brust, es wagt einige verstohlene Blicke, die denen Torquatos zu begegnen fürchten, es drängt sich aber auf ihn, wenn die seinigen sich anderwärts hinwenden. Der Dichter ist für glücklich zu achten, dessen Konzeption von einer Künstlerin ausgeführt wird, die es für die Erzählung des Inhalts, der durch die Sprache ausgedrückt ist, überflüssig macht, mehr als die Züge der seelenvollen Beredsamkeit ihrer Gebärde anzugeben. Der Gartenszene, in welcher das Entfalten der aufblühenden Empfindung und die welke Erinnerung derselben vermittels der Erinnerung selbst zur belebten Gegenwart erfrischt wird, weitläufiger zu erwähnen, bin ich enthoben, da Sie deren Vortrefflichkeit anerkannt haben.

Aber der Szenen der Entzweiung ist noch zu gedenken, die auf die Unterbrechung der Gartenszene durch das noch unverfängliche Mittel des Hustens und dann durch die darauf gebauten Lügen erfolgt. Die Entzweiung steigert sich zu bitterem Zorne, selbst bis zur Heftigkeit des Hohnes. Je vortrefflicher sich diese Szenen in der Darstellung machen, desto mehr können sie die Empfindung von Gewaltsamkeit erregen, sowohl in Rücksicht auf das frühere Lob der erworbenen Mildigkeit, das jeder sich selbst und dem anderen darüber erteilt hat, als in Rücksicht auf die Befriedigung, welche die zu erwartende Wiederversöhnung gewähren soll. Für den Glauben jedoch an die Möglichkeit einer gründlichen Aussöhnung sind wir an den ganzen Ton des italienischen Kreises gewiesen, in dem die Handlung spielt, der gleich entfernt von der in der Tat gewaltsamen und gewalttätigen Spitzfindigkeit spanischer Delikatesse und Ehre als von der moralischen Empfindsamkeit gehalten ist, welche den vergänglichen Zorn nicht als eine akute Krankheit kennt, sondern in welcher der Unwille sich in eine chronische Krankheit, unendliche Gekränktheit und Verachtung eines unversöhnbaren Hochmuts verwandelt. Am profitabelsten ließe sich der Tadel eines Widerspruchs zwischen der Heftigkeit dieser Szenen und der sonstigen Empfindung und Stimmung damit abweisen, daß dieser Widerspruch der Triumph der Kunst, daß er die Ironie sei, denn bekanntlich wird diese für den Gipfel der Kunst erklärt. Sie soll darin bestehen, daß alles, was sich als schön, edel, interessant anläßt, hintennach sich zerstöre und aufs Gegenteil ausgehe, der echte Genuß in der Entdeckung gefunden werde, daß an den Zwecken, Interessen, Charakteren nichts sei. Der gesunde Sinn hat solche Verkehrungen sonst nur für ungehörige und unerfreuliche Täuschung, solche Interessen und Charaktere, die nicht durchgeführt werden, für Halbheiten genommen und dergleichen Haltungslosigkeit dem Unvermögen des Dichters zugeschrieben. Wenn nun zwar die Verfeinerung der Gedanken dahin gekommen, jene Halbheit für mehr, sogar als ein Ganzes zu erklären, so ist das Publikum jedoch noch nicht dahin gebracht, an Geburten solcher Theorie Interesse und Gefallen zu finden. In unserem Stücke werden die Hauptpersonen zwar bekehrt, doch sind sie gottlob! nicht ironisch; es gibt sich, wie in den beiden früher genannten Raupachschen Stücken, ein gesunder Sinn und gesunder Geist zu erkennen, der nicht zur Krankheit jener Theorie versublimiert ist. An Ironie fehlt es auch übrigens hier nicht, sie ist aber an ihren rechten Platz, in das Kammermädchen und den Narren, verlegt. Die völlige Inkonsequenz und daß sie nur in dem Wunsche, einen Mann zu bekommen, Haltung hat, nur durch das Gespenst eine weitere bekommt, sowie, daß Burchiello seinen Widerwillen gegen eine Heirat am Ende hinunterschlucken muß, ist, wenn es einmal Ironie sein soll, Ironisches genug, wenigstens ist es Lustiges.

Lustig bleibt auch der Mißton jener Szenen, aber überdies bleibt er innerhalb der Möglichkeit, daß nicht bloß ein äußerliches Ende des Lustspiels, sondern daß bei dem Naturell der Hauptpersonen eine gründliche Auflösung der Verwicklung zustande komme.
Der alte Graf nennt sie am Ende der Katastrophe noch Kinder, wie sie früher waren, und er selbst steht mit ihnen und den übrigen in dem Kreise einer wohlwollenden und sinnigen Natürlichkeit, welche durch Leidenschaftlichkeit wohl getrübt werden kann, eine Trübung aber, die, noch frei von moralischer Reflexion, nicht den inneren Kern angreift und sich nicht zur Zerrissenheit steigert. Vielleicht hätte es in der Exposition geschehen können, daß diese Grundlage von Heiterkeit auch an den Hauptfiguren sich sichtbarer hervorhöbe. Shakespeare bewirkt dies öfters durch das Verhältnis und Konversationen der Hauptpersonen mit dem Narren oder Kammerkätzchen, freilich nicht immer auf eine Weise, die für fein oder selbst nur für anständig gelten könnte.
Die Empfindlichkeit Klothildens, die dem Kammermädchen einmal mit dem Fortschicken droht, ist vielleicht ein Zug, der für jenen Kreis etwas Fremdartiges hat. Dem Narren Burchiello ist am meisten oder allein das Reflektieren und die allgemeinen und ernsthaften Gedanken zugeteilt, und dies nach Standesgebühr, denn das Stück soll Lustspiel sein und ist Lustspiel.
Die Ausführung des "Unlogikalischen" in dem Vorgeben des Grafen von seinem Tode, in einer der ersten Szenen, in denen Burchiello auftritt, ist vielleicht etwas zu trocken geraten; sonst fehlt es nicht an witzigen Einfällen, und die Rolle wie das ergötzliche Spiel ist in dem zierlichen Stile eines Grazioso gehalten. Der Lebenskreis wie der Ton der Charaktere erinnert überhaupt an die heitere, sinnige, edlere Sphäre, in der sich die komische Muse Calderons und zuweilen auch Shakespeares bewegt.

Unter den vielen Formen von Drama, in denen unsere dramatischen Autoren sich herumversuchen, ist diejenige, die Herr Raupach in diesem Stücke gewählt hat, gewiß vorzüglich wert, angebaut zu werden. Es sind der Stücke von sinniger Heiterkeit, die auf unserem Boden wachsen, eben nicht sehr viele; unsere Bühnen pflegen sich dafür an die Bühnen unserer erfindungsreichen Nachbarn zu wenden. Herr Raupach verdient daher um so mehr auf dem erfreulichen Wege, den er hier eingeschlagen, alle mögliche Aufmunterung vom Publikum. Diese letztere Rücksicht muß auch die Entschuldigung enthalten für die Weitläufigkeit, in welche diese Bemerkungen ausgelaufen sind, die Entschuldigung aber gleichfalls weitläufig zu machen, würde überflüssig sein, indem, wenn ich sie zu lesen bekommen werde, ich damit Ihre Verzeihung lese. 

 

 

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